Schwarze Schmetterlinge
vergessen. Das darfst du nicht denken, auch wenn sie sich nie gemeldet hat. Sie hatte ganz einfach nicht den Mut dazu. Ich glaube, dass ihre Angst am Ende vor allem daher rührte, dass man sie gezwungen hatte, uns wegzugeben.«
»Die Medizin kann eben nicht mehr tun, als den Schmerz zu dämpfen.«
Pernilla schwieg. Ein nasses Birkenblatt klebte an ihrem einen Schuh, und sie versuchte, es abzubekommen, indem sie den Schuh im Gras rieb.
»Leben deine Adoptiveltern noch?«, fragte er.
»Ich war in insgesamt acht Kinderheimen. Ich bin niemals so wie du adoptiert worden. Wahrscheinlich habe ich deshalb beschlossen, keine Kinder zu bekommen. Svenne hätte wohl gern welche, aber für die muss er sich eine andere Mutter suchen. Das weiß er auch. Ich werde niemals Kinder in die Welt setzen.«
»Du machst trotzdem den Eindruck, alles gut hingekriegt zu haben, obwohl das Leben nicht wirklich einfach war für dich.«
»Man sieht ja nicht alles von außen, mein Herz jedenfalls nicht. Wie ist es mit deinen Adoptiveltern?«
»Mama, Britt, hat Alzheimer im Endstadium. Sie hat seit mehreren Jahren nicht mit uns gesprochen. Obwohl Folke so tut, als ob. Er sagt immer: Mama und ich meinen … obwohl sie schon ziemlich lange nichts mehr gemeint hat. Als ich klein war, war sie diejenige von beiden, die am meisten ›meinte‹, und ich denke, das sitzt tief.«
»Wie findet Folke es, dass du hierhergezogen bist?«
»Er findet das gut. Ich war mehrere Jahre lang in eine Kollegin verliebt, habe immer gehofft, dass sie ihre ungute Ehe aufgeben und dann mich entdecken würde. Aber dazu kam es nicht. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass das Leben sich nicht so entwickelt, wie man sich das gedacht hat. Sie heißt Maria Wern. Kronviken ist sehr klein. Folke meinte, es sei sicher gut für mich, mal die Umgebung zu wechseln.«
»Und wie ist es gelaufen?«
»Mies.«
»Erzähl.« Pernilla konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
»Ach was.«
»Du sollst doch vor deiner großen Schwester keine Geheimnisse haben. Komm, erzähl schon.«
Und er tat es. Erzählte von seinem Missgriff mit Bella und seiner Sehnsucht nach dem Unmöglichen. Hinterher kam es ihm komisch vor, dass er so offen geredet hatte. Die Stimmung am Grab hatte ihn beeinflusst und sie beide zusammengeschweißt. Er war froh darüber. Es war gar nicht so schlecht, eine große Schwester zu haben, mit der man reden konnte, auch wenn es zu Anfang ein ungewohntes Gefühl gewesen war.
»Können wir am Wochenende nicht etwas zusammen machen?«, fragte sie.
»Folke geht es nicht gut. Er wollte, dass ich nach Hause nach Kronviken komme. Sie glauben, er hat eine Lungenentzündung.«
»Ich habe nichts Besonderes vor. Glaubst du, es würde ihn stören, wenn ich mitkomme? Wir haben so viel miteinander zu bereden, du und ich, und die Fahrt ist doch ziemlich lang. Wenn du Gesellschaft möchtest, fahre ich gern mit.«
Nach einer unruhigen Nacht mit Schmerzen im ganzen Körper trat Per Arvidsson mit einem breiten Lächeln in seinem geschwollenen Gesicht die Fahrt nach Kronviken an. Jetzt wusste er zumindest, wo die Erscheinung arbeitete.
In Gävle hielten sie an einem Rastplatz. In der Sonne war es kühler, als man im Auto hinter der Glasscheibe vermutet hätte. Pernilla deckte auf dem feuchten Holztisch etwas zu essen auf. Auch die Bank war nach dem Regen vollgesogen, und deshalb nahmen sie ihre Mahlzeit im Stehen ein. In der Thermoskanne, in der Per Kaffee erwartet hatte, dampfte Linsensuppe. Dazu aßen sie Körnerbrot mit vegetarischem Brotaufstrich. Pernilla legte eine Serviette neben seine Schüssel.
»Wenn schon, denn schon. Was ist das denn für ein Bild, das du auf dem Rücksitz liegen hast? Das sieht fast wie eine Kinderzeichnung aus. Ist das ein König, da in der Mitte? Der mit dem Schwert?«
»Erkennst du das Motiv nicht? Die Vorlage lag in dem Umschlag, den du mir gegeben hast, eine Bleistiftzeichnung, die Helen gemacht haben muss. Es handelt sich um die Kopie einer Wandmalerei in Wadköping. Ich habe das Bild von einer Kollegin geschenkt bekommen und muss es noch einrahmen lassen. Das Bild ist auf eine, wie ich finde, sehr charmante Weise naiv und interessant zugleich. Es ist eine Gerichtsszene aus dem 17. Jahrhundert. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, von wem sie stammt.«
Per beschrieb die verschiedenen Figuren und die Eigenschaften, die sie darstellten.
»Sieh dir mal die Ornamentik ringsherum an. Ganz oben sind zwei nackte Figuren abgebildet.
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