Schwarzer Koks (German Edition)
Fotos. Die Leiche hatte etwas in der Hand. Es war ein schwarzer Würfel von vielleicht fünf Zentimetern Durchmesser. Er war hart wie Stein, die Maserung jedoch glich der von Holz. Obwohl er federleicht war, fühlte er sich ausgesprochen dicht an. Nathan klopfte damit auf den Tisch: der Klang war solide, also war er nicht hohl. Nathan steckte den Würfel in seinen Sack. Er kletterte die Leiter wieder nach oben und warf mit dem Fuß die Falltür zu. Er lief hinüber zu Manuel.
»Manuel?«
Keine Antwort.
»Manuel. Bist du da?« Immer noch nichts.
Nathan suchte nach ihm in immer weiteren Kreisen. Hatte Manuel sich entschlossen, ihn hier sitzen zu lassen? Nathan erstarrte. Der unablässige Urwaldlärm war schlagartig verstummt. Dann hörte er es. Ein Hubschrauber näherte sich. Er warf sich ins Unterholz. Er schraubte das 70-300-mm-Zoom an die Kamera und schaltete den Bildstabilisator ein.
Ein Lynx-Hubschrauber senkte sich über die Lichtung und sorgte für einen Wirbelsturm aus Dreck und Blättern, bis der Rotor stotternd zum Stehen kam. Zwei Bewaffnete sprangen heraus und sondierten die Lichtung nach Gefahren. Sie trugen schwarze Kampfanzüge und Springerstiefel, Patronengurte und Panoramabrillen. Einer von ihnen sprach in ein Handfunkgerät. Abwartend standen sie da. Nathan dachte daran, tiefer ins Unterholz zu kriechen und sich abzusetzen, ließ es dann jedoch sein. Der Hubschrauber war aus gutem Grund hier gelandet, und es sah nicht so aus, als suchten sie nach Überlebenden.
Einige Minuten später kam ein Schatten aus dem Regenwald. Mit voll ausgefahrenem Zoom holte Nathan die Gestalt heran.
Ihm pochte das Blut in den Schläfen.
Es war eine Frau. Oder wenigstens war sie mal eine gewesen. Jetzt hatte sie ein Gesicht wie eine Bulldogge über dem vor strickdicken Sehnen strotzenden Hals; die schlammverkrustete Khakiuniform hielt ihre Muskelpakete nur mit Müh und Not. Ihr Haar war militärisch kurz geschnitten, die lederartige Gesichtshaut voll Ruß. Die tief im Schädel sitzenden schwarzen Augen loderten schier vor Bösartigkeit. Vermutlich konnte sie einen mit ihren Blicken durchbohren.
Amonite Victor.
Die Schlächterin von Juárez. Am Leben.
Wie war das möglich? Gebannt folgte Nathan ihr mit der Kamera, als sie auf den Hubschrauber zuging. Ein M-16 baumelte von ihrer Hand. Ihr selbstsicherer, wiegender Gang trat in Nathan eine Erinnerung los. Mit einem Mal war er wieder in Mexiko, verängstigt, verzweifelt, ein Gefangener im finsteren unterirdischen Kerker einer Drogenfabrik. Seine Peinigerin ragte turmhoch über ihm auf, eine Kette in der Hand, drauf und dran wieder zuzuschlagen, bis er vor Schmerz einmal mehr das Bewusstsein verlor.
Er schüttelte sich zurück in die Gegenwart. Mit einem selbstzufriedenen Grinsen musterte Amonite die Verwüstung rundum. Ein Mann sprang aus dem Hubschrauber. Er war hochaufgeschossen und mager, seine Haut käsig, sein dunkles Haar völlig zerzaust. Der Blitz einer Narbe zierte seine rechte Backe. Er trug ein blaues Hemd und Jeans und eine Beretta am Koppel.
Nathan drückte auf den Auslöser. Amonite war noch am Leben. Die würden ihm zuhause niemals glauben, wenn er ohne fotografische Belege dafür zurückkam. Aber es passierte nichts. Er drückte nochmal. Immer noch nichts. Dieser verdammte Dreck! Er versuchte die Kamera mit dem Ärmel sauberzubekommen.
Er hob den Blick. Amonite und der andere Typ kamen geradewegs auf ihn zu. Langsam nahm Nathan das Gewehr von der Schulter. Wenn er Amonite und den Kerl mit der Narbe zuerst erwischte, könnte er entkommen, bevor seine Begleiter reagierten. Vor der Leiche des Mannes mit der Tätowierung blieben die beiden stehen. Amonite legte eine Hand an ihren Ohrhörer und sprach in den Kragen ihrer Uniform. Nathan zielte, aber die beiden Begleiter kamen nun ebenfalls auf ihn zu. Sie packten die Leiche und schleppten sie zum Hubschrauber. Das Narbengesicht hob die Falltür an. Zusammen mit Amonite verschwand er in dem Loch.
Nathan spielte mit dem Gedanken, sie da unten einzusperren. Es war riskant. Den Begleitern im Hubschrauber würde das kaum entgehen, es sei denn er könnte sie zuerst überwältigen. Mit einem geistigen Achselzucken verwarf er den Gedanken und dann kamen Amonite und das Narbengesicht auch schon wieder nach oben. Für ihn zählte jetzt nur noch zu erfahren, was hier vor sich ging, und dann mit heiler Haut davonzukommen. Ein Angriff auf Amonite und ihre Leute bedeutete praktisch den Tod.
Amonite sprach wieder in
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