Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Herr Hergarten, Sie haben genau das Gegenteil dessen erreicht, was Sie wollten: Sie haben Lisa getötet! Sie allein! Nein, wenden Sie sich nicht ab, Hergarten!« Dr. Dahl schrie es in seiner Qual heraus. »Sehen Sie sich im Spiegel an: So sieht ein Mörder aus!«
»Sie sind ja verrückt, Doktor.« Hergarten senkte den Kopf. »Sie lebt! Ich spüre es. Sie zu töten, wäre sinnlos.«
»Auch Aitmanows Tod war sinnlos. Unser Unbekannter hat nicht ein Stäubchen Herz.«
Hergarten hob hilflos die Arme und ließ sie an den Körper zurückfallen. »Wir müssen Geduld haben, Doktor.«
»Geduld? Woher soll ich die nehmen?«
»Was bleibt uns anderes? Wissen Sie etwas?« Dr. Dahl ließ den Kopf auf die Brust sinken. Es war Antwort genug.
New York.
Die Riesenstadt lag vor ihnen. Sie hatten Coney Island passiert, die Einwanderungsbeamten waren an Bord gekommen zur Kontrolle, nun fuhren sie langsam durch die Upper-Bai, der Freiheitsstatue entgegen, vor sich das berühmteste Panorama der Welt: Die Wolkenkratzer von Manhattan, das Häusermeer von Brooklyn, die Hafenanlagen von New Jersey. Zehn Boote der Hafenfeuerwehr begrüßten die ›Ozeanic‹ mit hohen Wasserfontänen und begleiteten sie zu den Piers. Willkommen zum erstenmal in New York! Willkommen im Herzen der Neuen Welt. Willkommen im Land der Freiheit …
Selbach und seine Offiziere standen oben auf der Außenbrücke. Die Begrüßung rührte sie ans Herz, aber es war ein bitterer Geschmack dabei. Wie anders hätte man in New York einfahren können, wie fröhlicher hätte die Jungfernfahrt enden können! Immerhin: Alle Passagiere in Hochstimmung, die Bordkapellen spielten auf Deck, über alle Toppen war das herrliche Schiff geflaggt, selbst das Wetter meinte es gut – über New York lag der Glanz einer blanken Herbstsonne.
»Wann werden wir Nachricht bekommen, wo Lisa ist?« fragte Dahl. Er stand mit Hergarten an der Reling und sah hinüber zu den Piers. Noch dreißig Minuten, und dann lag die ›Ozeanic‹ vertäut in New York. Wer würde die Nachricht des Unbekannten überbringen? Wo fand man Lisa? Gab es überhaupt ein Wiedersehen?
»Bis New York bin ich verrückt«, sagte Dr. Dahl heiser. »Wenn wir anlegen und ich weiß noch nichts, habe ich starke Befürchtungen, daß ich irrsinnig werde.«
»Nur noch eine Stunde, Doktor.« Hergarten sah den Schiffsarzt lange an. »Bevor ich selbst mit Lisa sprechen kann, sollten wir uns verständigen, Doktor. Lisa ist also mit einer Scheidung einverstanden?«
»Ja.«
»Sie sagte es selbst?«
»Nein. Sie kam ja nicht mehr dazu. Aber …« Dr. Dahl zögerte. »Es ist alles klar zwischen uns.«
»Sie war Ihre Geliebte?«
»Ja.«
»Ich habe Lisa sehr geliebt«, sagte Hergarten leise.
»Bis Sybilla in Ihr Leben trat.«
»Nein. Das entwickelte sich wie eine Lawine, die man kommen sieht, aber nicht aufhalten kann. Ich wurde überrollt. Jetzt allerdings ist alles anders, da haben Sie recht.« Hergarten legte seine Hand auf Dahls Arm. »Wenn ich die Nachricht bekomme, gebe ich sie an Sie weiter. Holen Sie Lisa ab. Ich wohne in New York im Hotel Ambassador. Wir werden uns alle in Ruhe aussprechen können.«
»Danke, Herr Hergarten.«
Sie gaben sich die Hand.
Dann schob sich die ›Ozeanic‹ vorsichtig an die Hafenmauer heran. Die Kapellen spielten den Yankee-doodle, die Passagiere winkten und riefen Verwandten und Bekannten zu, die sie abholten. Die Neue Welt war erreicht.
Der CIA hatte vorgesorgt. Auf den Dächern der Lagerschuppen lagen Beamte und fotografierten jedes Auto, das wartete, jede Person, die zum Empfang der ›Ozeanic‹ bereitstand. Nichts entging ihren Kameralinsen.
Dann rollte die breite Gangway an Land, der letzte Streifen Wasser zwischen dem stolzen Schiff und dem Festland wurde überbrückt – die Königin der Meere war zu Hause.
Auf dem Schiff fand das große Verabschieden statt, das ›Auf Wiedersehen‹, an das keiner glaubte. Die Kräne setzten schon die Kofferberge an Land, die Schauerleute umwimmelten das Schiff. Gepäckträger boten sich an.
Wie eine Welle spülten die Passagiere an Land. Umarmungen, Küsse, Tränen, Zurufe, ausgebreitete Arme. Graf Sepkinow ging würdevoll an Land, hinter sich die beiden Lakaien, bestaunt wie ein Wesen vom anderen Stern. Die Tante von Margret Goltz weinte vor Freude, als sie das brave Nichtchen sah. »Wie süß du geworden bist!« rief sie immer wieder. »Ach, wie süß, wie süß! Ich habe dich zum letztenmal gesehen, da warst du vier Jahre alt!« –
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