Schwarzer Schwan
über das Thema berichtet hatte, stieg die Zahl von Tag zu Tag. Die Firmen, um die es ging, trugen klingende Namen à la Glückspartner, Vorteilschance plus, Winneraction 24 oder Jackpot-Oase und schossen aus dem Boden wie Pilze nach einem Sommerregen. Leute in Callcentern verkauften naiven Trotteln am Telefon die Teilnahme an Internetlotterien, ein lukratives Geschäft.
Zocken – die größte Leidenschaft der Menschheit, zumindest kam es Dominik so vor. Das musste in den Genen liegen. Je höher der in Aussicht gestellte Gewinn, desto gründlicher brannten die Sicherungen durch. Ob bei Bankenbossen oder kleinen Rentnern.
Die meisten Anzeigensteller hatten als Anlage die Vertragsbestätigung des Glücksspielanbieters beigeheftet. Voll blumiger Verheißungen: »Eintragung in zweihundert tolle Gewinnspiele«, »täglich die Chance auf eine Million«, »min destens eintausend Lottytipps im Monat« – was immer ›Lotty‹ auch bedeuten mochte.
Vor allem Bewohner von Seniorenheimen schienen zur Zielgruppe solcher Sprüche zu gehören und natürlich war es fies, die schwindende Urteilskraft einsamer Alter auszunutzen, aber in den Augen der Staatsanwaltschaft lag kein Betrug vor. Zu unkonkret seien die versprochenen Leistungen. Dominik blieb nichts anderes übrig, als in jedem einzelnen Fall den Betroffenen oder ihren Angehörigen zu raten, die Zahlungen zu stoppen und auf Mahnungen oder Inkasso-Drohungen nicht zu reagieren. Vor Gericht zogen diese Firmen erfahrungsgemäß nicht.
Noch vor wenigen Monaten wären all diese Briefe unbeantwortet im Papierkorb gelandet. Doch eines Tages hatte der Innenminister das Thema Verbraucherschutz für sich entdeckt. Es war wie immer: Medieninteresse, ein Politiker, der Punkte sammeln wollte, und die Polizeibehörden mussten es ausbaden. In diesem beschissenen Fall: Dominik Roth.
Wie sollte er einer Frau, die er kennenlernte, seinen Beruf erklären? Ich arbeite in einem Kommissariat, das für Betrugsfälle zuständig ist, sammle Anzeigen, die zu nichts führen, vertröste die Bürger mit Formbriefen und tippe Statistiken, die im Keller des Innenministeriums vergammeln … Klang das etwa sexy?
Die Sonne begann, sein Büro aufzuheizen. Dominik zog an der Strippe der Jalousie, doch in der Mitte hingen ein paar Lamellen schief und klemmten.
Er kehrte an seinen Tisch zurück. Als letztes Blatt im Stapel fand Dominik die schriftliche Bestätigung seines Termins im Schießstand.
Mittwoch, also morgen, um vierzehn Uhr.
Dominik streckte die Hand aus. Kein Zittern. Auch keine plötzliche Übelkeit beim Gedanken an die Ereignisse vor drei Jahren. Allenfalls ein geringfügig beschleunigter Puls.
Weil Dominik damals beschlossen hatte, dass er nie wieder in die Situation geraten wollte, schießen zu müssen, hatte er den Wach- und Wechseldienst quittiert und war bei der Kripo und den Betrügern gelandet.
Ihm war klar, dass er an der Schießübung nicht vorbeikam. Er musste sie bestehen, denn falls er durchfiel, würde er die Waffe abgeben müssen. Die Folge wäre eine Untersuchung seiner Polizeidiensttauglichkeit. Man würde ihn nicht gleich entlassen, aber in die Verwaltung versetzen. Grauenhafte Vorstellung. Als Alternative bliebe Urban Ermittlungen – der Chef der aufstrebenden Detektei war sein ehemaliger Partner. Aber wollte er auf Dauer dort landen?
Dunkel erinnerte sich Dominik daran, was ihn einst bewogen hatte, sich für den Polizeidienst zu bewerben: Arbeit tun, die ihm sinnvoll vorkam.
Wenn er wenigstens ab und zu in einer Mordkommission mitarbeiten könnte. Oft verlangte ein komplexer Fall mehr Kräfte, als dem KK 11 gerade zur Verfügung standen. Dominik besuchte regelmäßig einschlägige Fortbildungen und zählte zum MK-Pool, zumindest auf dem Papier. Bislang hatte man ihn jedoch erst ein einziges Mal angefordert.
Ich muss endlich wieder Tritt fassen, dachte Dominik.
4.
Hanna Kaul nannte es den Deal-Modus. Sie war bis zum Äußersten angespannt. High, als hätte man ihr eine Adrenalininfusion gelegt.
Seit Wochen arbeitete Hanna an der Strukturierung eines Milliardenkredits, der den Kunden, die Mitteldeutsche Kali AG in Göttingen, derzeit Nummer fünf auf dem Weltmarkt, in die Lage versetzen sollte, den US-Mitbewerber Potassium Global Corp. zu übernehmen – und damit zur Nummer zwei aufzusteigen. Lutz, Hannas Teamchef, der sie bislang stets ausgebremst hatte, war in Urlaub. Zum ersten Mal in ihrer Karriere hatte sie die Chance, ein Bankensyndikat zu führen, statt
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