Schwarzer Tod
erwiderte sein Lächeln. Die Erinnerung gefiel mir. Und außerdem kann ich mich auch nicht an den Titel gewöhnen. Doktor McConnell. Ich weiß, daß ich einen Doktor habe, einen sehr guten sogar, aber wenn ich neben meinem Großvater stehe, oder vielmehr stand, dann habe ich mich immer mehr wie ein Lehrling gefühlt: ein kluger, aber unerfahrener Student im Schatten seines Meisters. Daran dachte ich gerade, als jemand von hinten an meinem Jackettärmel zupfte.
»Guten Tag, Rabbi«, sagte der Totengräber und nickte jemandem hinter mir zu.
»Shalom, Mr. Crenshaw«, erwiderte eine tiefe, weise klingende Stimme. Ich drehte mich um. Hinter mir stand ein onkelhafter alter Mann mit schlohweißem Haar und einer Jarmulke auf dem Kopf. Mit funkelnden Augen musterte er mich von Kopf bis Fuß. »Wirklich das Ebenbild«, sagte er ruhig. »Obwohl Sie ein wenig kräftiger sind als Mac.«
»Das sind die Gene meiner Großmutter«, erwiderte ich. Daß ich nicht wußte, wer der Mann war, war mir ein wenig unangenehm.
»Sehr richtig«, antwortete der alte Mann. »Sehr richtig. Und außerdem war sie auch eine wunderschöne Frau.«
Plötzlich wußte ich, woher ich ihn kannte. »Rabbi Leibowitz, nicht wahr?«
Der alte Mann lächelte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, Doktor. Es ist schon lange her, daß Sie mich aus der Nähe gesehen haben.«
Die Stimme des alten Mannes besaß einen heiseren, melodischen Klang, als wenn die Ecken und Kanten von den Jahren gemessener Rede abgeschliffen worden wären. Ich nickte. Die Totengräber traten von einem Fuß auf den anderen.
»Nun«, sagte ich, »es wird wohl allmählich Zeit ...«
»Ich nehme die Schaufel«, sagte Rabbi Leibowitz zu Crenshaw.
»Aber Rabbi, Sie sollten sich so eine schwere Arbeit nicht mehr zumuten.«
Der Rabbi nahm dem verblüfften Totengräber die Schaufel aus der Hand und stieß sie in den weichen Erdhaufen. »Diese Arbeit gebührt dem Freund eines Mannes und seiner Familie«, sagte er. »Doktor?« Er sah mich an.
Ich nahm dem zweiten Gräber die Schaufel ab und folgte dem Beispiel des Rabbi.
»Schönen Tag, Mark.« Crenshaw war leicht verstimmt und trottete mit seinem Kollegen zu dem verbeulten Pickup, der in angemessener Entfernung wartete.
Ich schaufelte mit regelmäßigen Bewegungen Erde in das Grab meiner Großmutter, während Rabbi Leibowitz sich Großvaters Grab annahm. Es war heiß, ein typischer heißer Georgia-Sommertag, und ich schwitzte bald aus allen Poren. Als sich das Grab langsam füllte und die Erde mir fast bis zu den Füßen reichte, stellte ich etwas überrascht fest, daß dieses Schaufeln besser war als irgend etwas anderes, seit ich vom Tod meiner Großeltern erfahren hatte. Und es tröstete mich weit mehr als alles, was mir die Leute gesagt hatten. Verblüfft bemerkte ich, daß der alte Mann mit seiner Arbeit nur wenig hinter mir zurückstand. Ich riß mich zusammen und schaufelte weiter.
Schließlich war ich mit dem Grab meiner Großmutter fertig und ging zu Rabbi Leibowitz, um ihm zu helfen. Zusammen füllten wir das Grab meines Großvaters innerhalb weniger Minuten. Der Rabbi legte die Schaufel auf den Boden hinter sich, drehte sich zum Grab um und begann, leise zu beten. Ich blieb schweigend stehen und hielt die Schaufel fest, bis er fertig war. Dann gingen wir wie in gegenseitigem Einverständnis zu der schmalen, asphaltierten Straße, wo ich meinen schwarzen Saab geparkt hatte.
Weit und breit waren keine anderen Wagen mehr zu sehen. Der Friedhof lag gute anderthalb Meilen von der Stadt entfernt. »Sind Sie den ganzen Weg hier heraus zu Fuß gegangen, Rabbi?«
»Ein guter Christ hat mich mitgenommen«, antwortete er. »Und ich hatte gehofft, daß ich vielleicht mit Ihnen zurückfahren könnte.«
Diese Bitte kam etwas plötzlich, ich willigte aber trotzdem ein. »Sicher, es würde mich freuen.«
Ich öffnete ihm die Beifahrertür, ging dann um den Wagen herum und setzte mich hinters Steuer. Der schwedische Motor brummte geschmeidig. »Wohin?« fragte ich. »Wohnen Sie immer noch gegenüber der Synagoge?«
»Ja. Aber ich hatte eigentlich daran gedacht, dem Haus Ihrer Großeltern einen Besuch abzustatten. Wohnen Sie nicht dort, wenn Sie in der Stadt sind?«
»Doch«, gab ich zu. »Das tue ich.« Ich sah ihn neugierig an. Dann empfand ich ein Gefühl des Wiedererkennens. Solche Situationen hatte ich schon vorher erlebt. Manche Leute fühlen sich einfach nicht wohl, wenn sie ernste medizinische Symptome in einer Arztpraxis
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