Schwarzes Prisma
nur in ihrem ersten Jahr hatte es sich ihr Vater leisten können, sie wenigstens einmal, während der Ernteferien, nach Hause kommen zu lassen.
»Komm her, Junge. Zeig mir deine Hände.«
Meister Danavis griff sich einen sauberen Lumpen, tupfte das Blut ab und wischte den Dreck mit energischen Bewegungen weg. Dann entkorkte er einen Krug und hielt den Lumpen über die Öffnung. Als Nächstes rieb er mit dem brandygetränkten Lumpen über die Innenflächen von Kips Händen.
Kip schnappte nach Luft.
»Sei kein Baby«, sagte Meister Danavis. Obwohl Kip, seit er denken konnte, gelegentlich Arbeiten für den Färber verrichtet hatte, hatte er manchmal immer noch Angst vor ihm. »So, jetzt die Knie.«
Mit einer Grimasse zog Kip ein Hosenbein hoch und stellte den Fuß auf eine Werkbank. Liv war zwei Jahre älter als Kip. Fast siebzehn jetzt. Nicht einmal der Mangel an Männern in der Stadt hatte sie veranlasst, in Kip mehr zu sehen als ein Kind, aber sie war immer nett zu ihm gewesen. Ein hübsches Mädchen, das nett war und nur gelegentlich herablassend, war so ziemlich das Beste, worauf Kip hoffen konnte.
»Sagen wir einfach, dass nicht alle Haie und Seedämonen im Meer leben. Seit dem Krieg ist die Chromeria für einen Tyreaner kein angenehmer Platz mehr.«
»Also denkt Ihr, sie möchte vielleicht nach Hause kommen?«
»Kip«, sagte Meister Danavis, »steckt deine Mutter wieder in Schwierigkeiten?«
Meister Danavis hatte sich rundheraus geweigert, Kip als Färber in die Lehre zu nehmen, mit der Begründung, es gebe in dem kleinen Rekton nicht genug Arbeit, um Kip eine Zukunft zu ermöglichen. Außerdem hatte er darauf beharrt, dass er selbst nur deshalb ein halbwegs anständiger Färber sei, weil er wandeln konnte. Er war vor dem Krieg der Prismen natürlich etwas anderes gewesen, denn er war in der Chromeria ausgebildet worden. Eine solche Ausbildung war nicht billig, und die meisten Wandler mussten ein Gelübde ablegen, später zu dienen, um die Kosten zu begleichen. Also musste Meister Danavis’ eigener Meister während des Krieges ums Leben gekommen sein, so dass Danavis nicht gewusst hatte, was er tun sollte. Aber nur wenige Erwachsene sprachen von jenen Tagen. Tyrea hatte verloren, und die gesamte Situation war schlimm geworden, das war alles, was Kip oder die anderen Kinder wussten.
Trotzdem bezahlte Meister Danavis Kip für Gelegenheitsarbeiten, und wie die Hälfte der Mütter in der Stadt setzte er ihm jedes Mal eine Mahlzeit vor, wenn er vorbeikam. Und besser noch, er ließ Kip immer die Kuchen essen, die die Frauen in der Stadt schickten, um die Aufmerksamkeit des gutaussehenden Junggesellen zu erregen.
»Herr, auf der anderen Seite des Flusses steht eine Armee. Sie kommen, um die Stadt auszulöschen und ein Exempel an uns zu statuieren, weil wir König Garadul getrotzt haben.«
Meister Danavis hob an, etwas zu sagen. Dann sah er, dass Kip es ernst meinte. Einen Moment lang schwieg er, und dann veränderte sich sein ganzes Verhalten.
Er begann, Kip mit Fragen förmlich zu bombardieren: Wo waren sie genau, wann war er dort gewesen, woher wusste er, dass sie die Stadt auslöschen würden, wie hatten die Zelte ausgesehen, wie viele Zelte hatte er gezählt, waren Wandler dabei? Kips Antworten klangen selbst in seinen eigenen Ohren unglaubwürdig, aber Meister Danavis akzeptierte alles.
»Er sagte, König Garadul rekrutiere Farbwichte? Bist du dir sicher?«
»Ja, Herr.«
Meister Danavis rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Oberlippe, wie ein Mann über einen Schnurrbart streichen würde, obwohl Danavis glattrasiert war. Er ging zu einer Truhe, öffnete sie und nahm eine Börse heraus. »Kip, deine Freunde sind heute Morgen zum Fischen zur Grünen Brücke gegangen. Du musst dort hinrennen und sie warnen. Die Männer des Königs werden diese Brücke besetzen. Wenn du sie nicht warnst, werden deine Freunde getötet oder versklavt werden. Ich werde alle hier in der Stadt warnen. Wenn es zum Schlimmsten kommt, benutze dieses Geld, um dich zur Chromeria durchzuschlagen. Liv wird dir helfen.«
»Aber … aber meine Mutter! Wo …«
»Kip, ich werde mein Bestes tun, um sie und alle anderen hier zu retten. Niemand sonst wird deine Freunde retten. Willst du, dass sie Isabel zur Sklavin machen? Du weißt, was geschieht, richtig?«
Kip erbleichte. Isa war noch immer ein Wildfang, aber es war ihm nicht entgangen, dass sie sich in eine schöne Frau verwandelte. Sie war nicht immer sehr nett zu ihm, aber
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