Schwarzes Prisma
Angreifer Ketzer oder Heiden oder Gläubige waren, sie würden während des Sonnentags nicht kämpfen. Der Sonnentag war selbst den Göttern heilig, die Lucidonius vertrieben hatte.
Wenn sie die Angreifer für diese eine Stunde aufhalten konnten, hatten sie eine Chance. Und der Sonnentag würde ihnen die Zeit geben, die sie brauchten, um die Tore zu verstärken und Vorräte und Waffen zu platzieren.
Ein einziger Tag. Eine einzige Stunde. Vier Minuten, die den Lauf dieses Krieges bestimmen würden. Darauf lief es hinaus. Gavin würde nicht aufgeben. Er hatte noch vier Minuten.
Die Feldschlangen auf der Mauer antworteten endlich jenen draußen auf dem Feld, aber die Schüsse wirkten ungezielt, kein einziger schlug auch nur in der Nähe der feindlichen Geschütze oder der Farbwichte ein. Und weitere Schüsse König Garaduls trafen die Mauer selbst; ein jeder prallte mit einem Knirschen und einem Jaulen und einem Aufspritzen von gelbem Licht von dem gelben Luxin ab, während die Mauer den Schlag absorbierte und sich selbst heilte.
Die Formen, die Gavin mit Luxin füllte, waren dreiviertel voll und umhüllten ihn mit den belebenden Düften, die Pfefferminze und Eukalyptus so nah waren, aber er ermüdete trotzdem. Er schaute zu den Farbwichten hinüber. Nicht einmal mehr zwei Minuten.
Orholam, ich versuche hier, etwas Gutes zu tun. Großes Ziel, Orholam. Selbstlos und all das. Du willst doch, dass Menschen selbstlos sind, richtig?
Zitterfaust ließ Gavin los und rief den Schwarzgardisten auf dem Boden Befehle zu. General Danavis beorderte Truppen zum Tor und wies sie an, sich hinter der Mauer in Reihen zu formieren. Die Menge begann sich zu zerstreuen. Alle schrien durcheinander, aber Gavin konnte nicht einmal mehr die Worte ausmachen.
Magieblitze blühten vor ihm auf. Die Farbwichte hatten ihn entdeckt. Sie schleuderten Wurfgeschosse, Feuer und alles, was ihnen einfiel, aber seine Schwarzgardisten wehrten alles ab.
Gavin wandelte weiter. Die Farbwichte waren jetzt nur noch zweihundert Schritte entfernt und rannten, so schnell sie konnten. Ihm blieben nur noch Sekunden. Rechts von Gavin brüllte eine Kanone und zerfetzte ein Dutzend der Farbwichte. Aber die Farbwichte hinter ihnen sprangen mit verzerrten Gesichtern, unmenschlich und glühend durch das Blut, den Rauch und die umherfliegenden Gliedmaßen.
Während er den Rest des gelben Luxins wandelte, um die letzte Form zu füllen, zog Gavin die Fäden in der Hand zusammen. Er würde es schaffen! Er versiegelte gerade das Luxin, als eine Kanonenkugel in die Formen krachte. Die ganze Wucht des Schusses fuhr direkt in Gavins Hände. Es war, als halte er ein Seil, während jemand einen am anderen Ende befestigten Amboss fallen ließ.
Sofort wurde Gavin das Luxin aus den Händen gerissen. Tor und Kanonenkugel krachten in den Boden unter dem Bogen, die Kanonenkugel sprengte durch Schwarzgardisten hindurch und durch ein Dutzend immer noch gaffender Zuschauer hinter ihnen. Das Tor – das plötzlich nicht mehr festgehalten wurde – zischte und verwandelte sich siedend in Licht, bevor Gavin es verhindern konnte.
Binnen zweier Sekunden verkochte das Tor zu nichts und verschwand – und mit ihm Garristons Hoffnung.
73
Gavin brach zusammen. Oder er hätte es getan, hätten nicht zwei Schwarzgardisten ihn aufgefangen und weggezerrt. Er wollte gegen sie kämpfen, wollte aufstehen, war aber so benommen, dass er nicht einmal Worte bilden konnte.
Er versäumte den ersten Zusammenprall, direkt unter seiner Plattform, aber er hörte ihn, spürte ihn. Die Schreie von Männern und Frauen, die sich wappneten, die ihre Willenskraft für ihr Wandeln schärften. Dann Hitzewellen und der Schock des Aufpralls, berstende Rüstungen, ächzende Männer und Farbwichte. Dann Schreie, immer Schreie.
»Wo sind meine Musketen?! Ich habe vor zwei Stunden befohlen, sie hierherzubringen!« General Danavis brüllte. Fluchte. Er stand zehn Schritte von Gavin entfernt und schaute durch die Schießscharten und Gusserker auf das Schlachtfeld unter dem Torbogen. Seine Soldaten sahen ihn blinzelnd an. Von zwanzig Männern hatten nur zwei Musketen. »Feuert, verdammte Kerle!«, schrie er sie an. »Du und du, macht euch auf die Suche nach Musketen. Sofort!« Dann war er verschwunden und schrie die Kanoniere an.
Die Schwarzgardisten zogen Gavin zum Rand der Mauer. Das Verdeck ließ nur wenige Stellen der Mauer nach außen oder innen frei. Sie fanden eine, an der die Kräne Waren heraufzogen. Ein
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