- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
weiß, was sich in der verschlüsselten Datei verbirgt«, erwiderte Stephans. »Vielleicht ist der Inhalt so gefährlich, dass er ihn um keinen Preis aus der Hand geben darf.«
Rebekka funkelte ihn an. »Glauben Sie diesen Schwachsinn wirklich? Meph wird nicht aufhören, bis er hat, was er will. Welches Wissen ist es wert, sich sehenden Auges umbringen zu lassen? Aber vielleicht liegt es daran, dass ich eine Frau bin. Sagen Sie mir, Stephans, warum machen Männer immer weiter, selbst wenn es sie zerstört?«
Er hob abwehrend die Hände. »Ich bin nur der Bote.«
Ihre Antwort bestand aus einem verächtlichen Schnauben.
Stephans griff nach seinem Pad und wählte ein weiteres Mal Mephs Nummer, aber dessen Pad blockierte immer noch alle Anrufe. Auch bei Westphal kam er nicht durch. Um sich zu beschäftigen, rief Stephans die Klickzahlen von Mephs MyLife-Seite auf. Über zwanzig Millionen Menschen auf der ganzen Welt sahen seinen Livestream, und sekündlich wurden es mehr. Im Netz schien nichts anderes als die Live-Geiselnahme zu passieren, und das, obwohl dort gerade gar nichts geschah, außer dass Meph wie ein moderner Hamlet seinen Gedanken nachhing, während sein Gegner zitternd vor dem geraubten Thron hockte.
Minuten verstrichen. Draußen im Flur waren Rufe und schwere Schritte zu hören. Stephans hätte gern gewusst, was Littek plante, aber er hütete sich, an die Tür zu pochen und zu fragen. Grundke hatte Rebekka und ihn provisorisch ins Sekretariat der Leichenkammer gesperrt. Hier waren sie zwar gefangen, aber im Gegensatz zu den echten IKM-Zellen hatten sie hier ein Pad und Netzempfang.
Wieder stierte er auf sein Siemens. Nicht er, sondern Rebekka war darauf angemeldet. Er wollte sie gerade ausloggen, als ihm einfiel, dass Meph zuletzt unter ihrer Kennung im Netz gewesen war. Stephans brach den Kennungswechsel ab und rief das Zugriffsprotokoll auf. Er rechnete nicht damit, dass die Liste der Seiten, die Meph als Rebekka besucht hatte, ihm in irgendeiner Weise weiterhelfen konnte, aber alles war besser, als untätig herumzusitzen.
Gleich beim ersten Eintrag wurde er schlagartig hellwach. »Ich fasse es nicht …«
Rebekka sah auf. »Was ist?«
Er beachtete sie nicht, sondern wählte die Adresse an. Bei dieser handelte es sich nicht um eine gewöhnliche URL, sondern um die Zugangsadresse zu einer Onlinefestplatte. Staunend beobachtete Stephans, wie der Anmeldevorgang vonstatten ging, ohne dass ein Fingerabdruck abgefragt wurde. Es dauerte nur Sekunden, bis eine lebensechte, bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Tür über dem Projektor erschien. Er berührte sie, und sie schwang auf.
Dahinter lag eine Wohnung. Stephans wusste, dass es sich nur um das holografische Abbild einer Wohnung handelte, aber als er durch die verschiedenen Räume streifte, fiel es ihn schwer, sie nicht als real zu betrachten. Die Bettdecke war perfekt eingedellt, im Waschbecken fanden sich Haare von zwei verschiedenen Personen, und auf den Spiegel im Flur hatte jemand mit Lippenstift einen Kuss gehaucht. Überall hingen Bilder an den Wänden, Familienporträts von Menschen, die Stephans nicht kannte.
Die ganze Wohnung war mit solch unendlicher Liebe zum Detail gestaltet – nein: eingerichtet worden, dass der Unterschied zwischen echt und virtuell kaum noch Bedeutung hatte. Einzig die Katze, die an einem Türrahmen vorbeistrich, milderte den Eindruck ein wenig ab, denn ihre Fellzeichnung bildete den Schriftzug »Design by Meph«.
Stephans hatte Mephs wahres Versteck gefunden.
»Stephans«, raunte Rebekka gepresst.
»Nicht jetzt«, stieß er hervor. »Ich muss dringend einen Weg finden, mit Meph zu sprechen. Ich weiß jetzt, was sein Geheimnis ist.«
Rebekka hörte ihm gar nicht zu. Sie hielt die Armlehnen ihres Stuhls so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Was ist?«, fragte er alarmiert.
»Hören Sie.« Sie blickte ihn an, ohne ihn wirklich zu sehen. »Er hat wieder angefangen.«
Beim zweiten Mal war es leichter, zumindest ein bisschen.
Westphal glich einem zuckenden, sabbernden Bündel. Meph hatte am eigenen Leib erfahren, was er ihm jetzt antat. Westphals Schreie waren ein Widerhall seiner eigenen, und der Gedanke daran schmerzte auch ihn, aber weil er die Qualen, die er Westphal zufügte, selbst erlitten hatte, durfte er ihn nicht davon erlösen. Es ging nicht um den alten Mann vor ihm und schon gar nicht um Meph. Es ging um alle. Meph hatte sich seine Rolle nicht ausgesucht. Wenn man ihn je vor
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