Schwarzwaldau
Es kommt dabei zuviel auf den Standpunct an. Bei Emil waltete, das ist zweifellos, wenn auch nicht Feigheit, doch Muthlosigkeit vor. Er fühlte sich nicht stark genug, länger so zu leben. Er wähnte sich stark genug, mit einem andern Leben es zu versuchen. Mit welchem? Was wußte er davon? Ihm genügte zu wissen, daß es sicher ein anderes sei. Er wollte entfliehen, – und wer sich auf die Flucht begiebt, gesteht ein, daß es ihm an Muth und Kraft fehlt, den Kampf weiter fortzusetzen. So Emil.
In seinen Händen blinkte ein Dolch von seltener Schönheit, den er vor zehn Jahren zum Geschenk erhalten von einem russischen Officier höheren Ranges, an welchem er innig gehangen und welchem zur liebenden Erinnerung er diese künstlich-geschmiedete, fremdartige Waffe so sorglich aufbewahrt, daß kein Dritter sie jemals gesehen. Der türkische, oder persische Dolch blieb stets im Secretair verschlossen, wo er unter Emil's wichtigsten Papieren verborgen lag. Nur in ganz trüben Stunden wurde er betrachtet, – doch immer erst nachdem die Stubenthür behutsam verriegelt worden. Unzähligemale hatte Emil, in des funkelnden Stahles Betrachtung versenkt, sich Vergleichen überlassen zwischen matter farbloser Gegenwart und jener blühenden Vergangenheit seiner Jünglingsjahre, da er dieß Geschenk des Obristen empfing und mit lebhafter Phantasie eine volle orientalische Märchenwelt daran knüpfte. Mehr zum Spiele, als in ernster Absicht, hatte er dann wohl die Spitze an seinem Arme geprüft, ohne sich die Haut zu ritzen und dabei in frevelhaftem Hohne gesprochen: »Das bleibt der sicherste Tröster.« –
Heute war es anders. Nicht zum Spiele mehr griff er nach der Waffe. Es sollte Ernst werden. So tief durchdrang ihn dieses Ernstes Bedeutung, daß er nicht mehr der Mühe werth gefunden, wie sonst die Thüre zu versperren.
Es schlug sieben Uhr. »
Vulnerat omnes, ultima necat!
« rief er aus und entblößte die Brust in der Gegend des Herzens: »Gieb Dich zufrieden, gequälte und quälende Blutkammer, bald sollst Du Erleichterung haben. Und auch Du, arme getäuschte Agnes, die Liebe und Glück an meiner Seite erwartete, und die ich unglücklich mache. Auch Dir wird Freiheit. Ich thu' es für Dich, nicht weniger denn für mich. Ja, schlage nur Deine siebente Stunde nach, unbarmherzige alte Uhr, die mir seit Jahren Schlag um Schlag beibringt. Dieß war die letzte Stunde, die Du mir schlugst und die letzte Stunde, denn die letzte tödtet!«
»Gott sei mir gnädig!« sagte er mit fester Stimme – und den hocherhobenen Arm packten zwei kräftige Hände, seiner Hand die Waffe entwindend.
Emil von Schwarzwaldau und Jäger Franz standen sich gegenüber. Emil vermochte nicht, den fragenden Blick auszuhalten, welchen Franz auf ihn richtete; er schlug die Augen zu Boden; in ihm kämpften zugleich Zorn und – Dankbarkeit; denn so tief wurzelt im Menschen die Lebenslust, daß sie niemals völlig abstirbt Auch Emil empfand etwas wie Freude und diese Empfindung mischte sich in die heftigen Worte, mit denen er seinen Diener zur Rede stellte, wie er sich unterfangen dürfe, zu spioniren und sich heimlich einzuschleichen?
Franz erzählte, was wir wissen; verschwieg nicht, daß er selbst im Begriff gestanden, den entsetzlichen Schritt zu thun, an welchem er jetzt seinen Gebieter verhindert und setzte dann ruhig hinzu: »Wenn ich des Lebens müde bin, so hat das gute Gründe; wer aber Ihnen das Recht giebt, sich umbringen zu wollen, das möcht' ich wissen? Geachtet, reich, mit einer Frau verbunden, die Niemand ansehen kann, ohne sie zu lieben, – ist es da nicht empörende Grausamkeit, ihr den Schreck zufügen zu wollen? Den Schreck und die Schmach? – Diesen Frevel hab' ich verhindert und habe nur gethan, was gesetzlich ist.«
Auch die fürchterlichsten Momente führen gewöhnlich etwas Lächerliches im Gefolge; schrecklichen Begebenheiten und Zuständen sitzt oft der Schalk im Nacken, die vielgetadelte Ironie in den tragischen Werken großer Dichter ist gewiß nichts Zufälliges: sie entkeimt dem wirklichen Leben.
So war es unbedenklich komisch, daß Emil dem erstaunten Frager jetzt Erstaunen und Frage zurückgab; daß er ihm befremdet zurief: » Du trägst Dich mit ähnlichen Gedanken? Bist Du wahnsinnig? Woran fehlt es Dir? Kannst Du Dir einen bessern Dienst träumen, als Du hier gefunden?«
Und ein Dritter, wäre er Zeuge dieses Zwiegesprächs gewesen, würde kaum ein Lächeln unterdrückt haben, bei des Jägers Entgegnung:
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