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Schwarzwaldau

Schwarzwaldau

Titel: Schwarzwaldau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Holtei
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entgegen, wo wir es von einem Fremden erwarten. Wir kennen ja die Gründe nicht, die ihn dazu bestimmten; wir haben uns weder mir seinen Leiden vertraut gemacht, noch mit seinen Irrthümern befreundet; was uns für uns selbst zur Entschuldigung diente, wendet sich zur Anklage um gegen den Andern; wir sind bereit, an ihm zu verdammen, was wir an uns vor Gott und vor uns rechtfertigen zu können meinten.
    Dieß widerfuhr dem Jäger Franz, da der Argwohn in ihm aufstieg, sein Herr stehe auf dem Puncte, Hand an sich zu legen: »Der reiche, beglückte, mit Agnes vermählte Herr! Der Herr, welcher besitzt, was der Diener ihm beneidet? Unmöglich! Und doch, wenn es wäre? Wenn all' sein Besitz den mit sich selbst Zerfallenen nicht erfreut, nicht zufrieden macht? Wenn er wirklich so wahnsinnig ist, zu sinnen in der Fülle seines Glückes, worauf ich sann aus der Oede meines Unglücks? Wenn die hingeworfenen Aeußerungen, die ich aus seinem Munde vernehme, seitdem ich um ihn bin, mehr bedeuteten, als ich ihnen beilegte? Wenn ich richtig errathe, daß jetzt die Stunde hereinbrach, wo er Ernst machen, wo er sterben will? – Dieser graue, schwülwindige, ausdörrende Sommertag scheint selbstmörderische Absichten zu fördern?! Wohlan denn: schieben wir für's Erste die unsrigen hinaus und belauschen wir die Schritte des – Andern.«
    Franz ging nicht nach dem Bänkchen beim kleinen See im Park; begab sich vielmehr ohne Zögern in sein Gemach, aus welchem er leicht und ungesehen zu seinem Gebieter gelangen konnte.
    Emil von Schwarzwaldau, seit zwei Jahren mit Agnes vermählt, stand im Siebenundzwanzigsten, konnte aber, obgleich er nichts weniger als blühend aussah, für einen noch jüngeren Mann gelten. Sein gewöhnlich bleiches Angesicht zeigte fast immer eine durch sanfte Freundlichkeit gemilderte Schwermuth, die jedoch augenblicklichen Scherzen in geistreicher Aufregung gern zu weichen schien, – aber nur schien . Es war nicht die abgeschlossene Resignation eines vom Leben hart getäuschten Mannes, welche aus jener Schwermuth sprach; fast knabenhafte Sehnsucht lag darin, und diese kann es gewesen sein, die seinen blassen Wangen kindlichen Anstrich verlieh, und zu solch' hoher, kräftiger Gestalt nicht paßte. Sein blaues Auge leuchtete groß und klar unter langen dunklen Wimpern hervor; es verrieth weniger Lebensüberdruß, als getäuschte Erwartung: Emil blickte umher nicht wie Einer, der durch Genüsse gesättiget, von Reue geplagt, im Dasein ermüdet, diesem ein Ende sucht; er sah in die Welt wie Einer, dem sie nicht gab, was er von ihr verlangte; der an unerfüllbaren Erwartungen krank, alle Wünsche und Träume mit Einemmale begraben möchte. Und das war kein leerer Schein, den er etwa, wie manche Zieraffen des Weltschmerzes, zur Schau trug. Es kam von Innen. Sein Auge war wirklich der Spiegel einer in ihrer irdischen Behausung sich abquälenden Seele. Auch hatte Franz richtig wahrgenommen. Die Qual dieser Seele war niemals höher gestiegen, als während dieses grauen Tages; sie hatte ihn aus dem Schlosse in's Grün des Waldes getrieben und trieb ihn jetzt, nicht weniger bedrängt und gequält, in's Schloß zurück. O wie manchen Tag hatte er schon in solch' unmännlichem Sträuben wider den Quäler Unmuth vergeudet; wie häufig schon dem tückischen Erbfeinde des Menschengeschlechtes neuen Spielraum gegeben, dadurch daß er vor ihm entwich, anstatt sich thatkräftig ihm entgegen zu stellen? Wie oft hatte er dann des Abends ausgerufen: »wieder ein Tag dahin!« und dann, abgemattet von wildem, feigem Umherjagen sich der Nacht, der schlafverheißenden, in die Arme geworfen! »Mit den Tagen wird man fertig,« – so lautete sein Selbstbekenntniß; – »vor einem ganzen Tage fürcht' ich mich nicht; meine Feinde sind die Stunden , aus denen er besteht. Ein beginnender Tag liegt zu lang und breit vor uns, als daß man seine Qualen mit Eins überschauen könnte; und hat man ihn hinter sich, dünkt er nur ein Augenblick. Aber die Stunden, die einzelnen Stunden, die man abzählt nach dem Secundenmesser des langsam-schleichenden, dennoch fieber-schweren Pulsschlages, – diese sind meine Gegner.
Vulnerant omnes, ultima necat
[Alle verwunden, die letzte tödtet] .«
    Und dieser letzten wähnte er nun wirklich entgegen zu reiten.
    Ich will meine Leser nicht behelligen mit der tausendmal aufgeworfenen und niemals erschöpfend beantworteten Frage: ob der Entschluß, sich selbst das Leben zu nehmen, Muth oder Feigheit verrathe?

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