Schwarzwaldau
wünsche sie sogar ein stilles Dasein, wie sie führe, weil es mit ihrem Character übereinstimme? Er habe bisher weder eine Klage aus ihrem Munde vernommen, noch irgend eine Verstimmung zwischen den Gatten bemerkt.
»Das klingt nun wieder ganz anders,« sagte der Schulmeister, sichtbar unzufrieden mit der versöhnlichen Wendung.
Die Andern nickten bejahend und verstimmt. Sie sahen sich um ihre Hoffnung auf allerlei Klatschgeschichten vom Schlosse betrogen. Ihr Bestreben, des Leibjägers Zunge noch einmal in Gang zu bringen, blieb erfolglos. Deßhalb auch ließen sie sich fürder nicht einschenken, klagten über saueres Bier, – als worin sie wahrscheinlich Recht hatten, – und verloren sich Einer nach dem Andern mit mehr oder minder tiefen Bücklingen gegen ›Musje Franz.‹ Dieser saß denn allein vor dem unberührten Glase in tiefe Träume versenkt, aus denen der leise ab- und zugehende Schankwirth ihn durch keine Silbe aufzustören wagte. Er war des Nachmittags an den vom Geflügel wimmelnden Landseen umhergegangen ohne zum Schuße zu kommen; wahrscheinlich weil er an andre Dinge als an Enten und Rohrhühner gedacht; und hatte seine Flinte noch geladen neben sich stehen. Mit der Rechten drehte er sich unaufhörlich die Locken; mit der Linken streichelte er liebkosend den langen Lauf des Feuergewehres. Wäre der Schänker nicht ein stumpfsinniger Trinker gewesen, der für nichts Aufmerksamkeit hegte, als für den Unterschied zwischen leeren und gefüllten Gläsern, es hätte ihm nicht entgehen können, daß im Kopfe des lockendrehenden schmucken Jägers üble Absichten sich regten. So düster und wild starrt kein junger Mann vor sich hin, wenn er nicht ganz und gar mit sich selbst zerfallen, aus einer fast verzweifelten Lage den Ausweg sucht, – sei es auch durch Selbstmord! Und dennoch waren es nicht nur Groll, Zorn, Haß, Rache, oder wie des Unheils finstere Dämonen weiter heißen mögen, die Franzens Angesicht beherrschten. Auch edlere Gefühle drückten sich, wenn gleich durch Wehmuth umschleiert, in diesen Zügen aus, auf denen ein Kampf des Guten mit dem Bösen sich wiederspiegelte. In einem Augenblicke, wo das Letztere überwog, murmelte Franz: »Ich habe vor acht Tagen dem Damhirsch, den der Herr angeschossen und der nicht verenden konnte, meine Ladung Entenschrot, weil kein Jagdmesser zur Hand war, durch's Hirn gejagt; setzte den Lauf dicht vor den Schädel und die Körner hielten zusammen, daß die Wunde aussah wie von einer starken Büchsenkugel. Was wär's denn weiter, wenn ich von hier gleich dem kleinen Garten-See zuginge bis an ihr Bänkchen und dann . . . Sie käme vielleicht heute Abend noch, fände meine Leiche und dann wüßte sie Alles! –«
Er warf einige kleine Münzen auf den Tisch und verließ eilig die Schänke. Festen Schrittes, wie ein Mensch, der zu furchtbarer That entschlossen, unwillkürliches Grauen durch entschiedenes Wollen besiegt, wendete er sich dem herrschaftlichen Parke zu. Hätte er diesen durch das große Eingangsthor betreten, würde er ungehindert den Platz erreicht haben, den er sich für seine letzte Stunde ausersehen; und wir ständen dann wahrscheinlich beim Beginn dieser Geschichte schon am Ende derselben und hätten weiter nichts mehr zu erzählen. Aber – und an scheinbar so zufälligen Ereignissen hängen die Geschicke des Menschen und der Menschheit! – Franz vermied den betretenen Weg, um nur ja Niemand zu begegnen; und gerade, weil er den Fußsteig einschlug, der nach der Seitenpforte führt, mußte er seinem Herrn entgegenlaufen, der aus dem Walde heimkehrend, bleich und träumerisch an ihm vorüberritt, ohne ihn nur zu bemerken. Unter andern Verhältnissen, in gleichgiltiger Stimmung würde der Diener auf Emil's Zustand wenig geachtet, würde in dessen Mienen weiter nichts gelesen haben, als den Ausdruck alltäglichen Unmuthes, der in Schwarzwaldau nicht befremdete. Doch was in ihm selbst vorging, schärfte seinen Blick; furchtbare Anspannung eigener Empfindungen steigerte in ihm die Fähigkeit, wahrzunehmen, was Jenen treibe? und gleich dem Zauber eines zweiten Gesichtes stieg ihm die Ahnung auf, der düstere Reiter trage sich mit Absichten, nicht minder schauderhaft als die seinen!
Jede finstere That, über der wir brüten, habe sie Namen welchen sie wolle, erscheint uns finsterer noch, sobald wir einen Andern auch im Begriff glauben, sie zu thun; womit wir uns im eigenen kranken Herzen zu versöhnen wähnten, tritt uns schroff, drohend
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