Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
Tasse ab. »Heiß und mit Honig.«
Ehrlinspiel nickte dankbar. »Sie sind ja schon fast wie mein Kollege. Strahle ich so viel Hilflosigkeit aus?«
»Wir können gerade alle ein bisschen Gutes gebrauchen«, sagte Willi, und heute blieb er zum ersten Mal ernst. Er legte die Tüten zwischen Hanna Brock und Ehrlinspiel. »Für die Fahrt.«
Die Redakteurin schien gerührt und nahm kurz Willis Hand. »Danke, das ist lieb. Darf ich noch um etwas bitten?«
»Klar.«
»Anton … Sina wird ihn jetzt brauchen. Und die Trinkerei …«
»Von mir kriegt er keinen Tropfen mehr.« Er hob die rechte Hand und schaute zu Anton. »Ich schwöre.«
Ehrlinspiel zweifelte keinen Augenblick, dass der Schwur mindestens bis zum Abend halten würde. Und dann … Das Leben würde auch hier weitergehen. Es hatte keine andere Möglichkeit. Genauso wie sein Leben, das morgen mit einem Cappuccino, Toast und Himbeermarmelade plus Kopfwehtabletten beginnen, ihn dann durch die Straßen der Wiehre und über das Basler Tor zur Polizeidirektion führen würde, dort den blauen Linoleumboden entlang bis zu seinem Schreibtisch und dem nächsten Fall. Ein Vermisster, eine Vergewaltigung, ein Selbstmord, womöglich schon bald der obligatorische Weihnachtsmord. Business as usual.
»Machen Sie mir die Rechnung fertig?«, bat er, und Hanna schloss sich ihm an.
Willi nickte und verschwand.
»Zwei Morde«, sagte Hanna, »und so viele Opfer. Allen voran Bruno, der nur erledigt hat, was ihm aufgetragen wurde. Renate. Die Kinder. Margarete und ihr Ungeborenes. Elisabeths Mann. Ihr Vater.« Sie sah Ehrlinspiel an. »Und Sina …«
Er zog seinen Geldbeutel aus der Tasche. Er wünschte diesen Menschen, dass sie es schaffen würden, mit ihren Schicksalen fertig zu werden. Was allerdings mit Bruno geschah – das mussten Staatsanwaltschaft und Gericht klären. Vielleicht würde er nicht eingesperrt bleiben und eine Therapie erhalten? Lorena Stein würde sich der Sache mit Sorgfalt annehmen, das wusste er.
Seine Brust verengte sich. Lorena. Peter. Hanna Brock war jetzt eine der wenigen, die seinen wunden Punkt kannten. Seine Schuld. »Schreiben Sie Ihren Wanderführer eigentlich noch fertig?«, lenkte er sich selbst ab.
»Klar. Ich habe ja den Auftrag dazu.« Sie zögerte und fragte dann: »Haben Sie nicht Lust, in ein paar Monaten zur Buchvorstellung zu kommen? Sie wird wahrscheinlich in Freiburg stattfinden. Soll eine tolle Stadt sein!«
Er musste lachen und verfiel im selben Moment in einen schmerzhaften Hustenkrampf. »Bewaffnet oder unbewaffnet?«
»Ich werde ganz zahm sein«, lächelte sie schwach.
Er wiegte den Kopf. »Und Ihre Männer? Walross, Freund und so … Bringen Sie die auch mit?« Sie ist liiert, sagte er sich. Tabu. Und du kannst sowieso keine dauerhafte Beziehung führen.
Sie wurde ernst. »Wir lassen es offen. Ich schicke Ihnen eine E-Mail, wenn es so weit ist. Dann können Sie sich’s noch einmal überlegen.«
Erleichtert trank Ehrlinspiel den Tee aus und stand auf. Er ließ sich nicht gern festnageln.
Und er war überzeugt davon, dass sie verstand, warum. Dass er Angst davor hatte, der Frau, die er in sein Innerstes hatte blicken lassen, wiederzubegegnen. »So machen wir es.«
Hanna erhob sich ebenfalls, und gemeinsam verstauten sie die Koffer und Taschen in ihren Autos.
»Guten Morgen, Herr Stadtpolizist«, sagte plötzlich eine vertraute Stimme, als Ehrlinspiel gerade den Kofferraumdeckel zuwarf.
Bertha stand mit dem alten Rad und dick vermummt am Rand des Parkplatzes. Er ging zu ihr hinüber. »Frau Weber, das ist aber nett. Jetzt kann ich mich ja noch von Ihnen verabschieden.«
»Wann kommt der Bruno zurück? Er hat niemandem etwas getan.« Ihr Auge blickte ihn traurig und zugleich bittend an.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ehrlinspiel wahrheitsgetreu. »Das wird ein Gericht entscheiden müssen.«
Bertha wackelte mit dem Kopf. »Ich bin froh, dass ich so alt bin. Da muss ich nicht mehr alles verstehen.«
»Sagen Sie, die Blumen, die Bruno Ihnen am Mittwoch aus der Schlucht mitgebracht hat … Waren das Rosen mit weißen Blüten und rotem Rand?«
Sie lachte kehlig. »Das sind doch Sinas Rosen, junger Mann. Mir bringt er blaue Kornblumen.« Ihr gesundes Auge lachte kurz. »Die sind ein Symbol für Treue und Zärtlichkeit, haben Sie das gewusst?«
»Nein«, sagte er und sah zu, wie der Schnee sich auf Berthas Schultern setzte. Sie hat an den letzten Tagen auch schwer zu tragen, dachte er.
»Aber meine
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