Schweig um dein Leben
was meinst du?«, sagte Steve zu mir und deutete auf die Tanzfläche. »Ob sie uns vielleicht irgendetwas damit sagen wollen?«
»Das ist mir ehrlich gesagt völlig egal«, antwortete ich. »Bobby kann tanzen, mit wem er will. Wir sind schließlich kein Paar oder so. Er ist nur ein Freund.« In Wirklichkeit war ich stinksauer. Ich war es nicht gewohnt, so behandelt zu werden. Bobby hatte mich während des Tennistrainings immer derartig angeschmachtet, dass ich eigentlich davon ausgegangen war, er würde mir den ganzen Abend nicht von der Seite weichen.
Steve stellte seine Tasse ab und griff nach meiner Hand. »Wer braucht Freunde wie die beiden? Komm, lass uns tanzen.«
Er zog mich hoch und führte mich in die Mitte des Raums. Ich merkte ziemlich schnell, dass er viel besser tanzte als Bobby, und nach ein paar Minuten schmiegte ich mich an ihn und bewegte mich mit ihm im selben Rhythmus zum langsamen Takt der Musik.
»Ich hab schon immer gedacht, dass es cool wäre, Wange an Wange zu tanzen«, murmelte Steve an meinem Ohr. »Jetzt habe ich endlich ein Mädchen gefunden, das groß genug dafür ist.«
Seine Wange lag sanft an meiner, sein Atem duftete leicht nach Schokolade und in seinen dichten dunklen Haaren hatte sich ein Stück Lametta verfangen. Über seiner Schulter blinkten die Weihnachtsbaumlichter wie rote und grüne Glühwürmchen und das Kaminfeuer tauchte den Raum in einen goldenen Schimmer. Die Atmosphäre war wie verzaubert, und zu meiner eigenen Überraschung wurde mir klar, dass es mir völlig gleichgültig wäre, wenn ich Bobby nie wiedersehen würde. Als das Lied zu Ende war und ich mich wieder hinsetzen wollte, hielt Steve meine Hand fest.
»Wo gehst du hin?«, fragte er mit gespielter Verzweiflung. »Nachdem ich einmal im Leben Wange an Wange getanzt habe, will ich nie wieder das Kinn auf den Scheitel eines Mädchens legen.«
»Das wäre wirklich das Allerletzte!«, gab ich lachend zurück und schmiegte mich wieder in seine Arme. Und dort blieb ich für den Rest des Abends.
Als die Party zu Ende war und Bobby pflichtbewusst neben mir auftauchte, warf Steve ihm einen Blick zu, der einen Schneemann zum Frösteln gebracht hätte.
»Wenn wir schon Partnertausch machen, dann richtig«, sagte er. »Du bringst Valerie nach Hause und ich April.«
Als ich Sherry später erzählte, was passiert war, sagte sie: »Was hast du denn erwartet? War doch sowieso klar, dass Prinzessin April am Ende den Märchenprinzen abbekommt.« In ihrer Stimme hatte unverhohlener Neid gelegen. Sherry schwärmte schon seit Beginn des Schuljahres für Steve.
Jetzt, fast fünf Monate später, hatte die Magie zwischen uns noch nicht nachgelassen, sondern schien sogar mit jedem Tag zu wachsen.
»Was genau ist da eigentlich los?«, fragte Steve jetzt auf dem Weg zur Schule. »Warum ist dein Dad schon so lange in Washington, meine ich. Hat er irgendwas mit dem Typen zu tun, der wegen Drogenschmuggel angeklagt ist?«
»Mr Loftin ist einer der Oberbosse bei Southern Skyways«, erklärte ich. »Er und Dad sind oft geschäftlich zusammen nach Südamerika geflogen, aber mit dieser Drogengeschichte hat mein Vater natürlich nicht das Geringste zu tun. Er könnte Kokain noch nicht mal dann von Zucker unterscheiden, wenn es über sein Müsli gestreut wäre.«
»Vielleicht ist das der Grund, warum er in dem Prozess so wichtig ist. Weil er so rechtschaffen ist«, sagte Steve. »Die Verteidigung hat vermutlich vor, ihn als Leumundszeugen zu benennen.«
»Ich weiß genauso wenig wie du«, sagte ich. »Dad darf nicht mit uns darüber sprechen. Bis er zurückkommt, wissen wir nur das, was in den Zeitungen steht.«
Steve lenkte den Wagen auf den Schulparkplatz. Wir stiegen aus und schlossen uns dem auf das Schulgebäude zufließenden Schülerstrom an. Es läutete bereits zum ersten Mal, als wir in die Eingangshalle kamen und mein letzter Tag an der Springside Academy begann.
Es war ein ganz normaler Schultag, der sich in nichts von den anderen unterschied. In Weltgeschichte hielt Mrs Winnender einen einstündigen Vortrag über das Alte Rom. In Englisch gab uns Mr Peyton den ganzen letzten Akt von Hamlet auf, was wir mit angemessenem Stöhnen quittierten. In Mathe hatten wir einen Vertretungslehrer, bei dem wir tun durften, was wir wollten, solange wir an unseren Plätzen blieben und uns nur im Flüsterton unterhielten. Alles war wie immer, nichts bereitete mich auf die Krise vor, auf den Tag, der das Ende unserer Welt bedeutete. Weil
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