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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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Steve und ich zu unterschiedlichen Zeiten Mittagspause hatten, aß ich mit Sherry und ein paar anderen Mädchen in der Cafeteria. Anschließend gingen meine Tennispartnerin Jodi Simmons und ich in die Turnhalle, um zu sehen, ob Coach Malloy schon die Setzliste für die nationalen Wettkämpfe aufgehängt hatte. Er hatte, und wir freuten uns darüber, dass wir im Damendoppel als Erste aufgestellt waren und ich im Einzel an erster und Jodi an zweiter Stelle standen.
    Als es läutete, wartete Steve an meinem Schließfach auf mich, und wir stimmten unsere Pläne für den Rest des Tages ab. Steve hatte nach der Schule einen Termin beim Schneider für seinen Abschlussball-Smoking, aber er meinte, dass er es rechtzeitig schaffen würde, um mich vom Training abzuholen. Abends wollte er mir dann mit Hamlet helfen, weil er Shakespeare schon im Jahr zuvor durchgenommen hatte.
    »Bis später«, sagte Steve, als wir uns widerwillig voneinander trennten.
    »Bis später«, antwortete ich und hätte nicht glücklicher sein können.
    Der erste meiner Nachmittagskurse war Medientechnik bei Mrs Guthrie. An dem Tag ließ sie uns auf Zeit lange Zahlenkolonnen tippen, und ich war so darauf konzentriert, meine Geschwindigkeit zu erhöhen, dass ich zuerst nicht hörte, wie mein Name ausgerufen wurde.
    »April?«, drang eine Stimme in mein Bewusstsein. »April Corrigan, Sie werden ins Sekretariat gebeten.«
    Ich blickte auf und sah den Schülerboten neben Mrs Guthries Tisch stehen.
    »Soll ich nicht zuerst noch die Aufgabe fertig machen?«, fragte ich.
    »Nein, Sie gehen besser gleich«, antwortete Mrs Guthrie. »Und nehmen Sie Ihre Sachen mit, wahrscheinlich schaffen Sie es nicht, vor Ende der Stunde noch einmal zurückzukommen.«
    Eher neugierig als besorgt, packte ich meine Bücher und Unterlagen zusammen und loggte mich aus dem Computer aus. Die Tastaturen ratterten wie Maschinengewehre, als ich den Gang zwischen den Tischen entlangging. Niemand wagte es, an Tempo zu verlieren, indem er zu mir aufschaute. Selbst Sherry, die drei Reihen vor mir saß, wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab, als ich an ihr vorbeilief. Ich bekam keine Gelegenheit, mich zu verabschieden.
    Als ich das Klassenzimmer verließ, war der Schülerbote schon längst wieder weg, also machte ich mich allein auf den Weg zum Sekretariat. Bis auf eine Fluraufsicht am Ende der Treppe und ein Mädchen, das sich am Wasserspender einen Becher füllte, war der Gang leer. Der schultypische Geruch von Kaugummi und Kreide lag in der Luft, vermischt mit der Marihuanawolke, die aus der Jungstoilette wehte. Die Tür zu Mrs Winnenders Klassenzimmer stand halb offen, und als ich vorbeiging, konnte ich ihre Stimme hören, die mittlerweile ein bisschen erschöpft klang und immer noch über das Alte Rom und seine Glanzzeit dozierte. Davon abgesehen war das einzige Geräusch das hohle Klacken meiner Schritte, das von den Schließfachreihen an der Wand zurückgeworfen wurde.
    Ich drückte die Tür zum Sekretariat auf und trat ein. Gegenüber dem Eingang saßen zwei Jungs mit blutigen Nasen auf der Wartebank, die sich so finster anstarrten, als würden sie nur auf eine Gelegenheit warten, ihre Prügelei fortzusetzen. Etwas weiter unten auf der Bank saß ein schmollendes rothaariges Mädchen, das wie besessen Kaugummi kaute. Die rothaarige Frau neben ihr tat so, als würde sie sie nicht kennen.
    Niemand von ihnen wartete auf mich.
    Die Sekretärin telefonierte gerade und sonst schien niemand im Raum zu sein. Dann schwang plötzlich die Tür zu einem der Büros auf, und eine Person kam heraus, mit der ich nicht gerechnet hätte.
    »Komm, April«, sagte sie ohne Begrüßung. »Ich habe dich gerade abgemeldet.«
    Es war Lorelei.

ZWEI
    Lorelei war nie eine typische Großmutter gewesen. Als ich noch in die Grundschule ging, habe ich immer dem Schulfest entgegengefiebert, weil ich dann vor meinen Freunden und Lehrern mit ihr angeben konnte. Die Großmütter der anderen Kinder waren grauhaarig und unscheinbar und trugen Seniorenbeige, während meine eine blonde Fashion-Ikone ohne eine einzige Falte im Gesicht war.
    Ich war so unglaublich stolz auf sie, dass ich erst in der Middle School zu begreifen begann, dass sich Lorelei bei solchen Anlässen nicht besonders beliebt machte. Meine Lehrer waren von ihr eingeschüchtert und meine Mitschüler fanden sie im Gegensatz zu ihren eigenen langweiligen, runzligen Grannies einfach nur seltsam und affektiert. Und die anderen Großmütter suchten nervös

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