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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gibt einen besseren Weg.«
    »Wie viele sind es noch?«, fragte Sandra. Sie kauerte neben Fenn unter der Mauerbrüstung, mit dem Rücken gegen den Stein gelehnt, bemüht, sich nicht auf den Scherben abzustützen. Rund um ihre Füße stachen die Kristallspitzen in die Höhe wie Blüten aus Glas.
    »Keine Ahnung«, meinte Fenn. »Vielleicht zehn, vielleicht auch nur zwei.«
    Carsten stand auf der Treppe und sah von einem zum anderen. Nina stand vor ihm, eine Stufe höher. Er hatte von hinten beide Arme um ihre Taille gelegt. Wenn Sandra zu ihnen herübersah, trat ein eigenartiges Funkeln in ihre Augen, das er sich nicht erklären konnte. Keine Eifersucht. Wie er musste sie mit ihrer früheren Beziehung längst abgeschlossen haben. Andererseits hatte sie vieles für ihn getan. Wenn sie sich nicht für ihn eingesetzt hätte, hätte Fenn ihn während der vergangenen Wochen getötet.
    Hagen wagte einen kurzen Blick über die Mauer. Der Scharfschütze meldete sich nicht mehr. Vielleicht hatte die Granate als Ablenkungsmanöver mehr bewirkt, als sie erhofft hatten.
    »Siehst du was?«, fragte Nina.
    Hagen schüttelte den Kopf. »Nichts. Wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Wir könnten noch ein paar Granaten werfen«, schlug Sandra vor, mit einer Leichtigkeit, als würde sie sagen: Lasst uns einen Kuchen backen.
    »Wenn sie nicht mehr da sind, wäre das Verschwendung«, meinte Fenn. »Vielleicht holen sie Verstärkung. Dann können wir jede einzelne noch gut gebrauchen.«
    »Nawatzkis Potenzial an Menschen ist nicht unbegrenzt«, gab Hagen zu bedenken. »Er kommandiert nur einen Teil des Netzes. Nach der Katastrophe von Prag wird man vorsichtig sein, ihm weitere Leute zur Verfügung zu stellen.«
    »Wo, zum Teufel, sollen sie sonst hin sein?«, fragte Carsten.
    Plötzlich weiteten sich Sandras Augen vor Entsetzen. »Großer Gott«, flüsterte sie, »natürlich! Sie versuchen …«
    Eine ohrenbetäubende Explosion unterbrach sie. Wo der Turm an die Schlucht grenzte, an seiner Westflanke, stieg eine schwarze Qualmwolke empor, schlug in einem dunklen Schwall über die Brüstung und hüllte sie ein. Gleichzeitig drohte eine ungeheure Erschütterung das ganze Gebäude zur Seite zu kippen. Nina verlor auf der Treppe den Halt, fiel gegen Carsten und riss ihn mit sich in die Tiefe. Schreiend stürzten sie hinunter. Carsten schlug schmerzhaft auf den Boden der ersten Etage. Nina rutschte an ihm vorüber und blieb erst auf halber Strecke zum Erdgeschoss hängen.
    Er kam taumelnd auf die Beine und wollte durch den schwarzen Qualm, der jetzt auch das Innere des Turmes erfüllte, nach ihr greifen, doch jemand anders war schneller. Eine Hand legte sich von hinten aus dem undurchdringlichen Dunst auf ihre Schulter und riss sie tiefer die Treppe hinunter. Schreiend verschwand sie in der Mauer aus Qualm. Unter, aber auch über ihm wurden Stimmen laut.
    Hagen federte als Erster an ihm vorbei, weiter in die Tiefe. »Sie haben Nina!«, rief Carsten ihm hinterher.
    Ein Schuss peitschte, und Hagen schrie gellend auf. Carsten konnte nichts erkennen, das weiter als auf Armlänge von ihm entfernt war. Sein Fuß suchte die obere Stufe, dann die nächste und –
    Sandra riss ihn zurück.
    »Du bleibst hier«, befahl sie.
    Er riss sich los. »Nina ist da unten. Sie …«
    Sie schüttelte wütend den Kopf. »Sie haben die Wand zur Schlucht gesprengt. Sie müssen durch die Felsen geklettert und von hinten gekommen sein. Ich lasse nicht zu, dass sie auch noch dich erschießen.«
    »Carsten!«, schrie Nina von unten, irgendwo aus dem schwarzen Qualm, der sich nur langsam auflöste. Ein heller Schimmer, wie von Tageslicht, war jetzt dahinter zu sehen. Er rahmte die Umrisse mehrerer Gestalten ein.
    Sandra, Fenn und Carsten drückten sich eng an die Wand der ersten Etage. In diesem Winkel würde man von unten nicht auf sie schießen können. Sandra und Fenn hatten ihre Pistolen auf die Öffnung gerichtet. Aber die Eindringlinge waren nicht so dumm, dass sie achtlos ihren Kopf hindurchsteckten. Sie blieben unten im Erdgeschoss.
    »Fenn!« Die Stimme der rothaarigen Frau aus dem Kloster. »Wir haben das Mädchen. Und Ihr Freund hier unten ist verletzt, er braucht dringend Hilfe.« Sie hörten ein dumpfes Geräusch wie von einem Hieb oder Tritt. Hagen stöhnte schmerzerfüllt auf.
    »Diese Schweine«, flüsterte Sandra zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    Wieder sagte die Rothaarige: »Werfen Sie Ihre Waffen herunter. Alle.«
    »Sie werden die beiden ohnehin

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