Schweineblut
Geruch
herauszufiltern. Einmal glaubte sie, Kartoffelstaub zu riechen. Ein anderes Mal
hatte sie den Geruch von Öl und Metall in der Nase.
Stundenlang hatte sie versucht, sich von ihren Fesseln zu befreien.
Aber sie hatte schließlich erschöpft aufgeben müssen.
Viola Kaumanns war immer noch wütend. Frank hatte recht gehabt, sie
hätte die Finger von der Sache lassen sollen. Sie hatte ihr Bauchgefühl
ignoriert, das sie schon früh gewarnt hatte. Sie hatte keine Angst vor dem Tod,
aber vor Schmerzen. Sie musste an Frank denken. An Frank und seine Probleme mit
sich und seinem Leben, mit Lisa, seiner Band und seiner Arbeit. Wie ein dummer
kleiner Junge kam er ihr manchmal vor, obwohl er deutlich älter war als sie.
Sie hatte immer das Bedürfnis, ihm mit beiden Händen durch seine lockigen Haare
zu fahren und ihm zuzuflüstern »alles wird gut«.
Frank war ihr schon am ersten Tag aufgefallen, als sie ihren Dienst
bei der Polizei in Mönchengladbach begonnen hatte: ein guter Polizist, aber
auch einer, der viel zu viel persönliche Probleme mit sich herumschleppte.
Zunächst war er ihr mürrisch und selbstgerecht vorgekommen, wie jemand, der
nicht gut mit Frauen konnte oder wollte. Sie hatte sich trotzdem von Anfang an
zu ihm hingezogen gefühlt, obwohl sie von Lisa wusste.
Sie konnte nichts gegen die Tränen tun, die ihr nun langsam über die
Wangen liefen.
Sie musste an früher denken. Wenn sie sich als Kind im Dunkeln
fürchtete, hatte sie gesungen. Viola wischte sich die Tränen aus dem Gesicht
und begann erst leise eine Melodie zu summen, um dann stockend und ebenso leise
zu singen: Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm … Sie verstummte und zog die Nase hoch. Es nützte nichts. Das vertraute
Gefühl von Sicherheit wollte sich nicht einstellen. Sie musste an ihre
Großmutter denken, die ihr oft mit ihren faltigen Händen das Haar aus ihrem
Gesicht gestrichen und ihr dabei aufmunternd zugelächelt hatte. Die
Polizeibeamtin spürte die warmen Tränen auf ihrer Wange.
»Sie singen ein Kinderlied? Schön.«
Viola Kaumanns erschrak. Sie hatte nicht bemerkt, dass jemand die
Tür geöffnet hatte und in den Raum getreten war. In Panik rutschte sie gegen
die kalte Wand und hob abwehrend ihre Hände. Der Unbekannte stieß mit seinem
Fuß gegen den Teller, der scheppernd zur Seite rutschte.
»Keine Angst, Frau Kaumanns. Ich habe den Auftrag, Sie zu meinem
Chef zu bringen.«
Der Unbekannte sprach mit niederländischem Akzent.
»Warten Sie, ich befreie Sie aus ihrer misslichen Lage.«
»Fass mich nicht an.«
»Keine Angst, ich tue Ihnen nichts.«
Viola spannte jeden Muskel an. Sobald er die beiden Vorhängeschlösser,
mit denen die Drahtseile gesichert waren, geöffnet hatte, würde sie aufspringen
und ihn über den Haufen rennen.
»Das hätte ich doch fast vergessen. Wie dumm von mir.« Der
Unbekannte schien unter seiner Maske zu lächeln. Er stülpte Viola mit einer schnellen
Bewegung einen Stoffsack über den Kopf, den er dann mit ebensolchen schnellen
Bewegungen mit einer dünnen Kordel um ihren Hals festband.
Erschrocken stöhnte Viola Kaumanns auf.
»Bleiben Sie ruhig. Sie müssen ruhig atmen. Sie können nicht
ersticken. Dafür sorge ich schon, Mevrouw Kaumanns.«
Viola Kaumanns musste sich zwingen, nicht laut zu schreien. »So ist
es gut. Mijnheer van Bommel wäre untröstlich, wenn Ihnen etwas zustoßen würde.«
Das klang tatsächlich besorgt.
»Was haben Sie mit mir vor?«
»Das werden Sie sicher noch früh genug erfahren.«
»Binden Sie mich sofort los. Ich bin Polizeibeamtin.«
»Und ein wahrlich hübsches Meisje dazu.«
Der Unbekannte kam mit seiner Maske ganz nah an Violas Ohr. »Sie
können nicht fliehen. Sie würden nicht viel weiter als bis zu dieser Tür
kommen. Also, seien Sie lieber vernünftig. Dann wird Ihnen auch kein Haar
gekrümmt. Wie ist es, wollen Sie Mijnheer van Bommels Einladung zum Tee
annehmen oder lieber weiter in diesem Loch bleiben?«
»Van Bommel ist ein Arschloch. Sagen Sie ihm das.«
»Oh, Mevrouw Kaumanns, sagen Sie ihm das lieber selbst. Ich kann
jetzt verstehen, warum ihm so viel an Ihnen liegt.«
»Sie sind ein dreckiges Stück Scheiße.«
»Aber, aber, Sie können mich nicht reizen. Nicht, wenn Mijnheer van
Bommel es nicht will. Aber seien Sie versichert, ich habe ein gutes
Gedächtnis.« Der Unbekannte griff ihr unter einen Arm und zog sie mit sich.
»Lassen Sie mich los!« Viola versuchte, ihn abzuschütteln.
»Seien Sie endlich still. Sie
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