Engel des Todes
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Yakima
W ir trafen uns auf dem Parkplatz der Yakima Mall. Yakima ist eine kleine Stadt im hintersten Winkel des Staates Washington. Über die Bezeichnung Stadt könnte man streiten, jedenfalls nennt sie sich so. Immerhin hat sie ein überdachtes Einkaufszentrum, wo man einkaufen kann, ohne daran erinnert zu werden, wo man sich gerade aufhält. In den vergangenen drei Stunden hatten nur zwei Leute das Einkaufszentrum betreten, beides Jugendliche in Football-Shirts, und keiner sah so aus, als ob er das nötige Kleingeld hätte, um den Laden leer zu kaufen. Später kamen sie wieder heraus, ohne etwas in der Hand zu haben. Große Werbetransparente machten im dritten Obergeschoss auf freie Verkaufsflächen zu sensationell niedrigen Mieten aufmerksam. Der große Laden im Erdgeschoss gleich an der Ecke stand ebenfalls leer, was nie ein gutes Zeichen ist.
Ich saß im Auto und trank einen Becher Kaffee, den ich mir gegenüber aus einem Seattle’s Best geholt hatte. Die Kaffeefiliale schien das einzige Geschäft zu sein, das noch an sich glaubte. Alle anderen Läden sahen aus, als hätten sie das »Zu-vermieten«-Schild vom letzten Mal mit dem Gedanken aufbewahrt, ein paar Dollar zu sparen, wenn das Unausbleibliche eintreten würde. Während ich saß und wartete, konnte ich förmlich hören, wie ein Bürgermeister mit den Fingern auf die polierte Platte seines repräsentativen Schreibtisches trommelt und langsam den Verstand verliert, weil seine Stadt so träge dahindöst. Nun, die Stadt würde überleben, denn sogar diese Tote-Hose-Gegend brauchte ein oder zwei »Les-Schwab«-Reifendienste und musste auf der landesweiten Liste der »Burger-King«-Schnellrestaurants stehen, aber dass hier jemand wirklich reich würde, war unwahrscheinlich. Wer solche hochfliegenden Pläne hatte, ging sowieso gleich hinauf nach Seattle oder hinunter nach Portland. Was man in Yakima machte, blieb mir schleierhaft.
John Zandt kam in einem großen roten General-Motors-Lieferwagen. Der Wagen war schmutzig und nicht sehr neu. Die Beifahrerseite sah aus, als hätte sich eine Rinderherde dagegengestemmt und beinahe gewonnen. Er fuhr um den kleinen Parkplatz herum, bis er auf gleicher Höhe mit meiner gediegenen Ford-Limousine stand. Wir ließen die Fensterscheiben herunter. Die Luft war kalt.
»Hallo, Ward. Hast du bei der Autovermietung speziell nach dieser Kutsche gefragt? Du hättest noch verlangen sollen, dass man ›Nicht von hier‹ auf die Motorhaube sprüht.«
»Du kommst furchtbar spät«, erwiderte ich. »Im Übrigen kannst du mich mal. Mein Verleiher hatte nicht so eine Bauernschaukel wie deine im Angebot. Offenbar hattest du mehr Glück.«
»Habe ich auf dem Parkplatz am Flughafen geklaut«, gestand er freimütig. »Also dann mal los.«
Ich stieg aus und ließ den Zündschlüssel stecken. Der Autoverleiher konnte den Verlust verschmerzen, für ihn war es nicht das erste Mal. Weder Hertz noch sonst jemand konnte mich anhand der Personalangaben, die ich in Spokane hinterlassen hatte, ausfindig machen. Beim Einsteigen in den Lieferwagen sah ich zwei Schießeisen auf dem Wagenboden liegen. Ich nahm eines davon, betrachtete es prüfend und steckte es ein.
»Wie weit ist es denn?«
»Rund eine Stunde von hier«, sagte Zandt. »Und dann müssen wir zu Fuß weiter.«
Er verließ den Parkplatz und fuhr die breite Straße hinunter, vorbei an dem grauen neuen Konsumtempel, der mitgeholfen hatte, dem Einkaufszentrum von vorhin den Garaus zu machen, obwohl der neue Komplex auch nicht sehr erfolgversprechend aussah. Dann bog Zandt rechts auf den Highway 82 ab und folgte ihm durch einen Siedlungsbrei, der mit einem Mal Union Gap hieß. Auch der löste sich wieder in einzelne Gebäude hier und da auf, und schließlich gab es nur noch die Straße. In Toppenish wechselte Zandt auf den Highway 97 , der in weitem Bogen nach Südwesten führt. Für die nächsten fünfzig Meilen gab es jetzt keine Städte mehr bis Goldendale, auf der Karte eine Ortschaft in Acht-Punkt-Schrift. Dahinter kamen weitere zwanzig Meilen bis zum Columbia River, der oberhalb des Dalles-Staudamms keine landschaftlichen Reize zu bieten hat. Am Abend zuvor hatte ich in Rooney’s Lounge gesessen, der Bar des größten Hotels in Yakima und Ersatz für die fehlende Kneipe im Ort, und mich mit dem sehr redseligen Barmann unterhalten. Von ihm erfuhr ich, dass wir uns jetzt auf dem Gebiet des Yakama-Indianerreservats befanden und dass es für die nächsten achtzig Meilen
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