Schwere Wetter
Stelle, und dort bleibst du auch. Keine Gespräche, keine Anrufe, keine Kreditkarten, du tust einfach, was man dir sagt! Und keine Dummheiten mehr, besonders nicht seitens deiner verrückten Schwester.«
»Ist gut«, sagte Alex. Er ließ sich auf den Stuhl fallen. »Du hast gewonnen. Ich gebe auf. Ruf die Ambulanz.« Er begann zu kichern.
»Lach nicht, Alex. Gentherapie soll sehr schmerzhaft sein.«
»Schmerzhaft ist es immer«, meinte Alex lachend. »Alles tut weh. Solange man noch etwas spürt.«
EPILOG
Austin, Texas, wurde früher einmal ›Stadt der Violetten Krone‹ genannt, damals, als die Stadt noch so klein gewesen war, daß sie in das Hügelbecken hineingepaßt hatte. Dieses Hügelbecken sollte angeblich vor örtlichen Tornados schützen. Diesen Zweck erfüllte die Violette Krone längst nicht mehr, falls sie es jemals getan hatte, und selbst der älteste Stadtkern von Austin war in den vergangenen fünf Jahren von einem F-2 verwüstet worden.
Der Zacken war mitten durch den ältesten nördlichen Vorort der Stadt gezogen, einen traditionellen Wohnbezirk, der unmittelbar nördlich der Universität von Texas gelegen war. Das Gebiet gehörte mittlerweile zur Universitätsdomäne, stand unter privater Verwaltung und privater Polizeigewalt. Abgesehen von ein paar alten, eindrucksvoll gerupften Bäumen, fielen die Sturmschäden nicht sonderlich auf. Hauptsächlich waren es große, alte Pecanobäume; einige waren abgestorben und durch Schößlinge ersetzt worden, doch viele waren verstümmelt und standen noch aufrecht.
Alex stach die Spur der Verwüstung allerdings gleich ins Auge. Eben noch war man unter einem gleichmäßigen Blätterdach gedeihender, gehätschelter, CO2-genährter Giganten hergefahren, und auf einmal standen am Straßenrand all diese gequälten, goyaesken Mutanten, aus denen magere, kleine grüne Triebe hervorsprossen und an denen man vielleicht noch einen alten, verkrümmten Ast als eine Art mahnenden Zeigefinger übriggelassen hatte. Er machte eine entsprechende Bemerkung zu seiner Begleiterin.
»In Boston gab es früher keine Tornados«, sagte sie.
Seine Schwester bewohnte einen Schuhkarton von einer Wohnung. Ein kleines, braun-weißes Häuschen, das hundert Jahre alt wirkte, wenn der Tag danach war. Anfang der 2020er, als das gerade in Mode war, hatte jemand das Äußere des Hauses mit wasserdichtem Lack besprüht. Die weiße Hausfarbe unter dem Lack wirkte unnatürlich sauber und lebhaft.
Als Alex zur Betonveranda hochging, sah er, daß die unter dem Lack eingesperrte Farbe den Geist aufgegeben und in unzählige winzige Farbflöckchen zersplittert war, die nicht größer waren als feiner Staub. Aber das machte nichts. Der Staub konnte nicht raus. Der Lack hatte ihn für die Ewigkeit konserviert.
Jane spähte durchs Sicherheitsglas der Tür und erblickte einen kleinen, plumpen jungen Mann in Anzug und Krawatte. Und eine sehr seltsam aussehende Frau. Einen hexenhaften, zigeunerhaften Typ in einem geschlitzten Seidenkleid, gestreiften Strümpfen und roten, an den Knöcheln verschnürten Sandalen. Ihre eine Gesichtshälfte - Ohr, Wangen, Schläfe - war von einer großen, purpurfarbenen Tätowierung entstellt.
Bewaffnet zu sein schienen sie jedenfalls nicht. Und auch nicht sonderlich gefährlich. Auf dem Universitätsgelände gab es sowieso nur selten Ärger. Die Universität verfügte nämlich über gewaltige Mengen an Daten und stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, außerdem hatte sie einiges Geld und konnte, was noch wichtiger war, auf eine Phalanx bewaffneter, disziplinierter und einsatzfreudiger Studenten zurückgreifen.
Jane öffnete die Tür. »Hallo?«
»Janey?«
»Ja?«
»Ich bin's.«
Jane starrte ihn entgeistert an. »Allmächtiger! Alex.«
»Das ist Sylvia«, meinte Alex. »Sylvia Muybridge. Sie ist meine Reisebegleiterin. Sylvia, das ist meine Schwester, Jane Unger.«
»Hallo, wie geht's«, sagte Jane. »Eigentliche heiße ich jetzt Jane Mulcahey. Das ist einfacher, und außerdem ist es legal.« Sie hielt die Hand mit dem goldenen Ring hoch.
»Ja«, sagte Alex gequält, »ich wußte, daß du einen Ehenamen führst, aber ich dachte, im Netz würdest du immer noch unter dem Namen Jane Unger arbeiten.«
»Na ja, also, das werd ich wohl auch noch ändern.«
Alex zögerte. »Dürfen wir reinkommen?«
»Aber sicher doch!« Jane lachte. »Los, kommt rein.«
Sie wußte, daß ihre Wohnung katastrophal aussah. Überall lagen Ausdrucke, Lehrbücher und haufenweise
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