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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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saß eine alte Frau. Ihr schlohweißes Haar war wie ein leuchtendes Signal in dem Zwielicht, das die wenigen flackernden Kerzen dort hinten verbreiteten. Sie kam beinahe jeden Tag zur Messe. Wenigstens ihr Glaube ist unerschütterlich, dachte er gallig. Er bemerkte, dass sein Blick noch immer auf ihr verweilte. Sie schaute auf und nickte ihm zu.
     
     
    Nach dem Gottesdienst verließen die wenigen Gläubigen die Kirche. Der Priester ging in die Sakristei. Ein Zittern ging durch seinen Körper, und sein Haar, weiß wie Schnee, fiel ihm ins Gesicht. Der Spiegel, der an der Wand hing, sollte ihm und den Messdienern Zeugnis über den korrekten Sitz ihrer Gewänder ablegen. Jetzt zeigte er ihm ein verzerrtes Gesicht, in dem unzählige Äderchen auf den Wangen geplatzt waren.
    Er kämpfte sich aus dem Rock und unterdrückte einen Schrei. Wie lange werde ich das noch machen können? Er wusste keine Antwort. Nur eine neue Frage: Wie lange will ich das noch machen? Er schüttete den Rest Wein aus dem Kelch seine Kehle hinab, und die Wärme des Alkohols linderte ein wenig die Gelenkschmerzen.
    Er verschloss die Sakristei und trat in den diesigen Berliner Morgen. Es war, als habe das Wetter sich mit den Schmerzen gegen ihn verschworen, als sollte er endgültig in die Knie gezwungen werden, noch heute. Es würde den ganzen Tag über schneien, aber auch das hielt die Menschen nicht davon ab, ihren täglichen Geschäften nachzugehen. Rastlos eilten sie an ihm vorbei; das war der neue Glaube: Erfolg und Geld. Nur wenige grüßten ihn, aber selbst die erkannte er nicht.
    Auf dem Gehweg zur Pfarrei wartete die alte Frau.
    »Eleonore«, sagte er und reichte ihr die Hand. Auf halber Strecke zuckte er zusammen.
    »Jakob, fehlt Ihnen etwas?«, fragte sie besorgt.
    Er lächelte. »Eher habe ich etwas zu viel. In den Gelenken.« Er holte einmal tief Luft, und der Frost fuhr in seine Kehle, wo er auf den brennenden Alkohol traf. Er hustete. »Und wie geht es Ihnen?«
    »Ich bin einsam«, sagte sie und verblüffte ihn mit ihrer Offenheit.
    Er sah sie an. Sie war wirklich alt. Sehr alt. Er erwiderte: »Gott ist für sie da!«
    »Gott…« Sie schnaubte, und aus ihrer Nase löste sich der Atem in kleinen Wölkchen. »Meinen Sie, Gott hat Zeit für eine alte Schachtel wie mich?«
    Entrüstet sah er sie an. »Aber wieso…?«
    »Wieso ich dann in Ihre Kirche komme?«
    Er nickte.
    »Weil ich spüre, dass meine Zeit gekommen ist.«
    »So etwas dürfen Sie nicht sagen.«
    »Warum nicht? Was ist so schlimm am Tod?«
    »Nichts«, sagte er. Sie tat ihm Leid, so alt und einsam, wie sie war. Er fühlte sich ihr verbunden.
    »Ist das die Wahrheit?«
    Wieder antwortete er nur mit einem Nicken. Selbst diese Bewegung kostete ihn Kraft. Sie bogen in die Zufahrt zum Pfarramt ein, ein mickriger, flacher Klinkerbau, der sich neben den gründerzeitlichen Altbauten furchtsam duckte. Eleonore blieb stehen. »Woran glauben Sie?«
    Er runzelte seine raue Stirn. »Woran ich glaube?«
    »Ja.«
    »Eleonore, ich bin Priester. Ich glaube an Gott.«
    Sie schüttelte ihr graues zersaustes Haar, als sei sie mit seiner Antwort unzufrieden. »Sind Sie sich sicher?«
    Er hatte das Gefühl, dass sie auf etwas Bestimmtes hinauswollte. Aber er wusste nicht, worauf. Und auch nicht, ob er Lust darauf verspürte, es herauszufinden. »Was wollen Sie von mir hören?«
    »Die Wahrheit!« Sie musterte ihn eindringlich.
    »Die Wahrheit?«, wiederholte er und kam nicht gegen die Verlegenheit an, die ihn überkam.
    »Sagen Sie mir: Was erwartet uns am Ende unserer Tage?«
    »Es gibt nur eine Antwort: Gott.«
    »Und wo?«
    »An einem besseren Ort.«
    »Daran glauben Sie?«
    Er hob die Hand. Was sollte er ihr sagen? Es kam nicht in Frage, dass er vor ihr sein Gelübde in Frage stellte. Mach dich nicht lächerlich. Du tust es jeden Tag!
    »Eleonore«, meinte er. Sie standen vor der Tür zum Pfarramt. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Vielleicht sollten wir unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Ich habe heute noch eine Menge zu erledigen.« Das war glatt gelogen, aber er sah keine andere Möglichkeit, diesem Thema zu entfliehen. Er hoffte, bis zum nächsten Mal würde sie die Gedanken daran vergessen haben.
    »Ein besserer Ort«, sagte sie gedankenverloren und presste ihre Tasche an sich. »Ich hoffe, Sie haben Recht. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
    In seinen Ohren klang es wie ein Abschied für immer. Er beobachtete, wie sie sich zurück zur Hauptstraße schleppte. Sie bog

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