Schwester Lise
Maschine im Ohr, ihren Gedanken wieder freien Lauf.
Sie hatten geplant, im Sommer zu heiraten. Es sollte eine Hochzeit werden mit Birkenlaub, mit der ganzen Blütenpracht des Sommers und mit einer lustigen Gesellschaft unter freiem Himmel. Vielleicht zu Johanni! Sie träumten und freuten sich und hatten einander lieb.
Und dann kam der Schlag.
Halfdans Mutter war Witwe. Sie hatte viele Jahre von einer Pension der Firma gelebt, in der ihr Mann angestellt gewesen war. Plötzlich machte diese Firma Bankrott. Die Mutter besaß nichts weiter als ein paar hundert Kronen auf der Bank und die Möbel ihres gemütlichen Zimmers im Altersheim. Hier blieb keine Wahl. Halfdan mußte einspringen. Aber das Altersheim kostete monatlich hundertfünfzig Kronen! Und wenn von einem bescheidenen Assistentengehalt hundertfünfzig Kronen abgezogen werden, so bleibt nicht mehr viel übrig. Ja, auch wenn er Stationsarzt werden sollte, würde es noch knapp sein. Denn Eirin sollte es gut haben. Er wollte nicht heiraten und ihr in engen, trübseligen Verhältnissen ein Dasein zumuten, bei dem sie ewig und immer den Pfennig würde umdrehen müssen.
Halfdans Gesicht wurde müde und grau. Er war enttäuscht, enttäuscht wie ein Kind, das sich monatelang sehnsüchtig auf Weihnachten freut und dann ausgerechnet Heiligabend krank wird.
Entweder mußte die Heirat auf unbestimmte Zeit verschoben werden, oder - oder -
Er grübelte, daß tiefe Furchen sich in seine Stirn eingruben. Oder
- er mußte zusehen, daß er mehr verdiente. Viel mehr! Privatpraxis? Nein, nicht jetzt. Er konnte es sich einfach nicht leisten, ein Sprechzimmer einzurichten. Er hatte nicht die Mittel für die Instrumente und die Ausstattung, die sich auf Tausende von Kronen belaufen würden. Er war ratlos.
Da wollte es das Geschick, daß der Kreisarzt in Frostviken starb. Brattholm brachte Halfdan, ohne daß er es allerdings selbst ahnte, auf eine Idee:
„War ein sonderbarer Kauz, der Alte oben in Frostviken. Er fühlte sich, glaube ich, da oben in der Einsamkeit nördlich vom Polarkreis ganz wohl. Kalt und ungemütlich war es da, pfui Spinne! Möcht’ wirklich wissen, ob es so leicht sein wird, die Stelle neu zu besetzen - schön, Hoek, wir müssen jetzt anfangen, ich operiere selbst und überlasse Ihnen die Kunststopferei.“
Es war eine einfache Operation, die da unter den geübten Händen des Oberarztes glatt und schnell vonstatten ging. Und während Halfdan „kunststopfte“, klangen Brattholms Worte ihm noch in den Ohren:
„Möcht’ wirklich wissen, ob es so leicht sein wird, die Stelle neu zu besetzen.“
Vielleicht war das eine Chance, selbst wenn man erst achtundzwanzig war.
Halfdan wälzte sich nachts in seinem Bett hin und her. Ihn peinigte der Gedanke, eine Arbeit wieder im Stich lassen zu müssen, die er liebte, eine Arbeit, so reich an Möglichkeiten - eine vielversprechende Zukunft, alles das, was er sich in dieser Welt wünschte. -
Nein. Nicht alles! Das Allerteuerste, was er besaß, das würde er mitnehmen können. Und was bedeuteten eigentlich Karriere und Ehrgeiz gegenüber dieser einen wunderbaren Gewißheit, daß er Eirins Liebe besaß?
Am nächsten Tage bewarb er sich. Kurze Zeit darauf wurde die Kreisarztstelle in Frostviken mit Dr. Halfdan Hoek besetzt, achtundzwanzig Jahre alt, Staatsexamen summa cum laude, ungewöhnlich vielversprechender Chirurg, Bakteriologe aus Neigung.
„Der Kuckuck hole Sie, Mann!“ schimpfte Dr. Brattholm. „Soll ich den besten Assistenten hergeben, den ich jemals gehabt habe - es ist doch wohl nicht das dreckige Geld, das Sie dahin zieht, Hoek?“
„Nein“, sagte Halfdan leise. „Aber ich bin verlobt und möchte gern heiraten, und dazu hätte ich dann die Möglichkeit.“
Brattholm sah ihn durch seine Brille fest an.
„Wenn Ihre Verlobte nicht ein Engel in Menschengestalt ist, dann hält sie es keine vierzehn Tage in Frostviken aus. Ist sie Osloerin? Aha, nun, ich möchte ungern Ihr Glück zerstören, junger Freund, aber wie gesagt - Frostviken trägt seinen Namen zu Recht. Nicht einmal die Blume der Liebe gedeiht dort oben, obwohl sie, wie man sagt, genügsam und abgehärtet ist. Auf Wiedersehen, Herr Kreisarzt!“
Brattholms Worte ließen Halfdan keine Ruhe. Er war klug, der alte Oberarzt. Vielleicht hatte er recht. Ein einsames Doktorhaus in einem unwirtlichen, windigen Kreis, Dunkelzeit, Winterstürme - ob das etwas für seine feine kleine Eirin war?
Eines Abends sprach er sich ganz offen mit ihr aus
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