Schwesterlein, komm tanz mit mir
erbost. Alle diese verrückten Briefe. Sie reichten von den Angeboten von Medien, Séancen abzuhalten, bis zu Geldforderungen im Austausch für Gebete. «Ich wünschte, du würdest diesen Unsinn nicht lesen», sagte er.
«Die Briefe regen dich nur auf.»
«Dieser ist anders, Chris. Jemand schreibt, zum Gedenken an Nan würde ein Mädchen aus Manhattan am Abend des 19. Februar beim Tanzen auf genau die gleiche Weise sterben wie Nan.» Greta Sheridans Stimme wurde lauter.
«Chris, was ist, wenn der Brief nicht von einem Geisteskranken kommt? Was können wir tun? Können wir jemanden warnen?»
Doug Fox zog an seiner Krawatte, band sie sorgfältig zu einem präzisen Knoten und betrachtete sich im Spiegel. Gestern hatte er eine Gesichtsmaske aufgelegt, und seine Haut glänzte rosig. Die Volumen-Packung hatte seinem dünner werdenden Haar Fülle gegeben, und die bräunliche Farbspülung verdeckte das Grau, das an seinen Schläfen auftauchte.
Gutaussehender Bursche, versicherte er sich selbst und bewunderte, wie sein gestärktes weißes Hemd die Linien seiner muskulösen Brust und seiner schlanken Taille nachzeichnete. Er griff nach seiner Anzugjacke und freute sich im stillen darüber, wie fein sich die schottische Wolle anfühlte. Dunkelblau mit dünnen Nadelstreifen, betont durch das kleine rote Druckmuster auf seiner Hermes-Krawatte. Von Kopf bis Fuß der Investment-Banker, der hervorragende Bürger von Scarsdale, der hingebungsvolle Ehemann von Susan Frawley Fox und Vater von vier lebhaften, hübschen Kindern.
Niemand, dachte Doug mit amüsierter Befriedigung, würde auf die Idee kommen, daß er noch ein anderes Leben hatte: als lediger, freischaffender Illustrator mit einem Apartment in der gesegneten Anonymität von «London Terrace» in der 23. Straße, einem weiteren Versteck in Pawling und einem neuen Volvo-Kombi.
Doug warf einen letzten Blick in den hohen Spiegel, zupfte das Taschentuch in der Brusttasche zurecht, vergewisserte sich, daß er nichts vergessen hatte, und ging zur Tür. Immer irritierte ihn dieses Schlafzimmer. Es war mit ländlichen, antiken Möbeln aus Frankreich ausgestattet, und zwar von einem hochrangigen Innenarchitekten, aber Susan schaffte es trotzdem, daß es unordentlich und kleinbürgerlich aussah. Kleider waren achtlos auf die Chaiselongue geworfen, und die silbernen Toilettengegenstände lagen wild durcheinander auf der Kommode. Kinderzeichnungen waren mit Klebeband an die Wände geheftet.
Nichts wie raus hier, dachte Doug.
In der Küche herrschte das übliche Tohuwabohu. Der dreizehnjährige Donny und die zwölfjährige Beth stopften sich ihr Frühstück in den Mund. Susan ermahnte sie, der Schulbus werde gleich um die Ecke biegen. Das Baby krabbelte mit nasser Windel und klebrigen Händen herum.
Trish maulte, sie wolle heute nachmittag nicht in den Kindergarten gehen, sondern zu Hause bleiben und mit Mami
Alle meine Kinder
anschauen.
Susan trug einen alten flanellenen Morgenrock über ihrem Nachthemd. Als sie geheiratet hatten, war sie ein hübsches Mädchen gewesen. Ein hübsches Mädchen, das sich hatte gehenlassen. Sie lächelte Doug zu und goß ihm Kaffee ein.
«Möchtest du nicht einen Pfannkuchen oder sonst etwas?»
«Nein.» Würde sie je aufhören, ihm jeden Morgen diese Dickmacher aufzudrängen? Doug sprang zurück, als das Baby versuchte, sein Bein zu umarmen. «Verdammt, Susan, wenn du ihn nicht sauberhalten kannst, dann laß ihn wenigstens nicht in meine Nähe. Ich kann nicht schmutzig ins Büro gehen.»
«Der Schulbus!» kreischte Beth. «Tschüs, Mami, tschüs, Dad.»
Donny griff nach seinen Büchern. «Kannst du heute abend zu meinem Basketballspiel kommen, Dad?»
«Ich komm erst spät nach Hause, Junge. Wichtige Konferenz. Nächstes Mal ganz sicher, ich versprech’s.»
«Klar.» Donny ließ krachend die Tür hinter sich zufallen.
Drei Minuten später saß Doug in dem Mercedes und war auf dem Weg zum Bahnhof, Susans vorwurfsvolles «Komm-nicht-zu-spät-nach-Hause» noch im Ohr. Doug spürte, wie er sich allmählich entspannte. Sechsunddreißig Jahre alt, und da saß er mit einer fetten Ehefrau, vier lauten Kindern und einem Haus in der Vorstadt. Der amerikanische Traum. Mit zweiundzwanzig hatte er es für einen geschickten Schachzug gehalten, Susan zu heiraten.
Leider war die Ehe mit der Tochter eines reichen Mannes nicht gleichbedeutend mit einer reichen Heirat. Susans Vater war ein Geizkragen. Leihen, nie schenken! Dieses Motto war in sein Gehirn
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