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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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zusammen. Dann kam die Erleichterung, dass Merette so schnell zurückrief.
    »Hallo, Mama«, sagte Julia. »Merette?«, fragte sie dann noch mal in den Hörer, als sich niemand meldete. Jetzt erst warf sie einen Blick auf das Display. Und da stand »unbekannter Teilnehmer«.
    »Hallo, wer ist da?«, rief Julia. »Mit wem spreche ich?« Wieder war die Antwort nichts als Rauschen. Und irgendwo im Hintergrund schrie eine Möwe.

X. 1 Tag vorher
    Er merkte, wie er wütend wurde. Nicht mehr nur verärgert, sondern wirklich wütend. Als würde es gegen ihn persönlich gehen, als wäre das Ganze nur dazu gedacht, um ihn zu frustrieren. Fertigzumachen. Oder schlimmer noch: um ihn gewaltig zu verarschen!
    Mit jeder Seite, die er umblätterte, wurde seine Wut größer. Dabei hatte er über achtzig Kronen für das Heft bezahlt! Die blöde Tussi im Zeitschriftenladen hatte es ihm extra noch empfohlen. »Ein ganz neues Heft«, hatte sie gesagt, »ich glaube, das ist was für Sie! Aber Sie müssen mir hinterher unbedingt erzählen, wie Sie es fanden.« Nichts als dummes Gewäsch, um ihn über den Tisch zu ziehen. Und er war darauf reingefallen. Hatte das Geld hingelegt und sich sogar noch gefreut. Fast wie früher, wenn er endlich genug Taschengeld zusammengespart hatte, um sich ein neues Matchbox-Auto kaufen zu können.
    Er hatte sich einen Spliff gedreht und den Rauch tief inhaliert, bis das Schwindelgefühl einsetzte. Dann hatte er das Heft aufgeschlagen. Die Enttäuschung kam schon gleich mit der ersten Aufgabe. Lange Reihen mit einzelnen Buchstaben, aus denen er bestimmte Kombinationen heraussuchen sollte. Nicht mal dreißig Sekunden hatte er gebraucht! Verschiedene Symbole, bei denen er eine wiederkehrende Anordnung erkennen sollte. Zehn Sekunden. Billiganagramme,TON=NOT, ABER=RABE, EINST=STEIN, ESSEN=SENSE. Weniger als zehn Sekunden. Wortbruchstücke, Wortsalat, durcheinandergewürfelte Buchstaben, billiger ging es kaum noch.
    Er machte sich nicht mal mehr die Mühe, die Lösungen aufzuschreiben. Oder noch auf die Uhr zu blicken. Er war ohnehin kurz davor, das Heft zu zerreißen und in den Müll zu werfen. Ungeduldig drückte er den Joint aus, während seine Augen automatisch die nächste Seite einscannten. Sprichwort-Labyrinth. Die Buchstaben mussten in die richtige Anordnung gebracht werden. Das erste Wort hieß JEDER, dann kam NEBEL , dann … Er hing fest. Das ergab keinen Sinn. Er kannte kein Sprichwort, das mit JEDER NEBEL begann. Jetzt blickte er doch wieder auf die Uhr. Er las noch mal die Aufgabe, ob er irgendeinen Hinweis übersehen hatte. Ein Labyrinth, die Buchstaben sollten eine unsichtbare Linie durch das Gewirr der Kästchen ergeben …
    Er startete wieder mit dem JEDER, jetzt war er wirklich bei der Sache, obwohl ihm eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte, dass er wahrscheinlich irgendetwas in die Aufgabe hineinlas, worum es gar nicht ging. Dass es viel einfacher war, als er dachte. Dass er die Lösung eigentlich auf einen Blick sehen müsste.
    Er nahm den Stift und verband einen Buchstaben nach dem anderen. Er brauchte knapp eine Minute, dann hatte er das Sprichwort vor sich: JEDER LEBENSWEG IST RICHTIG. AUCH DIE UMWEGE. Bescheuert, dachte er, das Sprichwort gab es überhaupt nicht, das hatten sie doch willkürlich zusammengebastelt. Aber trotzdem, eine Minute für diesen Quatsch war zu viel! Das hätte er schneller rauskriegen müssen, was war los mit ihm?
    Von draußen drang harter Elektrobeat durch das halbgeöffnete Fenster. Es war immer noch heiß, obwohl es schon früher Abend war.
    Er stand auf und knallte das Fenster zu. Wahrscheinlich wieder der Penner aus dem Seitenflügel. Ein Typ, der eigentlich eindeutig zu alt war, um Elektro zu hören. Beginnende Stirnglatze und dezenten Knopf im Ohr und immer im Anzug, sogar wenn er den Müll runterbrachte. Eher der Typ, der beim European Song Contest für irgendeinen billigen Schlager mit leichten Anklängen an norwegische Folklore stimmen würde. Aber vielleicht täuschte er sich auch. Auf jeden Fall sollte ein Typ wie er nicht die Nachbarschaft terrorisieren dürfen! Wieso war der Penner eigentlich schon wieder von der Arbeit zurück?
    »Haben sie dich rausgeschmissen, oder was?«, fragte er laut, während er das bescheuerte Heft mit einer wütenden Armbewegung in die Ecke warf. Dann ging er in die Küche, um sich Kaffee zu kochen.
    Er musste wieder einen klaren Kopf kriegen. Vor allem durfte er sich nicht ständig über irgendwelche Nebensächlichkeiten

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