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Schwesternkuss - Roman

Schwesternkuss - Roman

Titel: Schwesternkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Wie lange ohne Wasser? Der Zeitsinn war ihr völlig abhandengekommen.
    Die Panik ertränkte jeden rationalen Gedanken. Sie begann zu hecheln. Sie hatte die Kontrolle über sich verloren. Ihr einziger Gedanke war: Du bist in einer Kiste eingeschlossen. Sie drohte zu ersticken. Tränen der Angst füllten ihre Augen. Wieder trat sie mit Knie und Fuß gegen den Kistendeckel. Sie schrie und brüllte, betete und hoffte, dass jemand vorbeikommen würde.
    Sie kämpfte in undurchdringlicher Dunkelheit um ihr Leben.
    6
    Alice ging rückwärts in Richtung Haustür, sie wollte weg von dem knurrenden Hund. Die Taschen ließ sie fallen, als er an ihren Turnschuhen zu schnuppern begann und seine Nase sich für die Blutstropfen interessierte. Sein Knurren wurde lauter, aber als sie seine Zähne sah, vergaß sie ihre Angst und trat ihn. Er jaulte auf und wollte den Rückzug antreten, doch Alice folgte ihren Instinkten.
    Sie trat ihn immer wieder, auch als er kläffend ins Wohnzimmer rannte. Sie jagte ihn in die dunkle Küche im hinteren Teil des Hauses, schaltete das Licht ein und entdeckte eine offene Tür, die in den Keller führte. Sie konnte hören, wie er die Treppe hinunterfiel. Schnell schloss sie die Tür und lehnte sich schwer atmend an den Türpfosten, um dem wimmernden Tier zuzuhören. Es wäre wohl das Beste für ihn, wenn er das Zeitliche segnen würde.
    Alice sah sich um, sie war noch nie in Bennies Haus gewesen. Die Küche war modern und sauber, mit weißen Email-Schränken und glänzenden Arbeitsflächen aus Granit. Hundefotos standen auf der Fensterbank, ein eingerahmtes Ruderplakat wurde von einer Hängelampe angestrahlt. Im Wohnzimmer gab es eine Bücherwand, einen Fernseher, eine Stereoanlage und eine hellbraune Couch mit dunklen Beistelltischen. Alles in allem nett eingerichtet, aber überhaupt nicht Alices Geschmack.
    Eine Couchgarnitur aus Leder, vielleicht in Schwarz, coole verchromte Glastische und ein viel größerer Fernseher in einem viel größeren Haus, in dem man viele Partys feiern könnte – das wäre Alices Ideal gewesen. Die beiden Schwestern konnten verschiedener nicht sein, und ohne einen Bluttest hätte Alice nie an die so nützliche Blutsverwandtschaft mit einer hervorragenden Anwältin geglaubt.
    Ihr Vater tauchte eines Tages im Gefängnis auf. Er wollte ihr alles von Bennie erzählen. Wie sich herausstellte, hatte er das Leben seiner beiden Töchter nur aus der Ferne verfolgt. Jetzt wollte er Alices Leben retten. Die berühmte Bennie Rosato schien dafür die Richtige zu sein, und als sie sich zum ersten Mal gegenübersaßen, behauptete Alice, wie Bennie gern Haselnusskaffee zu trinken und ein großer Sport- und Hundefan zu sein.
    Sie hatte sogar behauptet, sich für ihre gemeinsame Mutter zu interessieren. Denn jeder Idiot konnte sehen, wie sehr Bennie an der alten Carmela hing. Im Gegenzug informierte sie Bennie tröpfchenweise über das Leben ihres Vaters, der sie beide mit einer kranken Mutter im Stich gelassen hatte. Leerstellen schmückte sie mit ihrer Fantasie aus. Bennie geriet in die Defensive und fühlte sich schuldig, denn sie war nicht verlassen worden. Auch wenn sie mit einer verrückten Mom die schwierigere Kindheit gehabt hatte. Alice hatte Bennie sogar weisgemacht, schuld am Untergewicht bei ihrer Geburt gewesen zu sein. Da Zwillinge die Plazenta im Mutterleib teilen, muss ein Zwilling mit seinem Blut angeblich den anderen ernähren – und Alice hatte schon als Fötus die Arschkarte gezogen. So war es mehr als gerecht, dass sie jetzt in Bennies Haus war, um ihr Leben zu übernehmen. Es war Bennies eigene Schuld, dass sie sich schon im Mutterleib wie ein Vampir aufgeführt hatte.
    Alice hob die Kuriertasche vom Boden auf und nahm Bennies Brieftasche und Scheckbuch heraus.
    Bankgeschäfte mussten geregelt werden.
    7
    Mary traute ihren Augen nicht, als Fiorella Bucatina sich auf der Schwelle in Positur stellte. Fiorella war in den Siebzigern, aber ihre Haut war faltenlos. Botox oder Lifting schienen nicht der Grund für diese außergewöhnliche Naturerscheinung zu sein. Ihr fülliges Haar hatte die Farbe von Espresso, graue Strähnen waren keine zu entdecken. Eine schicke Kappe ließ ihre mandelfarbenen Augen, hervorstehenden Wangenknochen und ihren vollen Mund, den sie verführerisch mit weinrotem Lippenstift versehen hatte, noch mehr wirken. Sie war klein, doch ihr schwarzes Strickkleid ließ Kurven erahnen, die auch einer Fruchtbarkeitsgöttin gut zu Gesicht gestanden hätten.

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