Science Fiction Almanach 1982
41 SF-Literatur wird zur Notwendigkeit, und die utopische Fragestellung, von Laßwitz am Beispiel der Sonnenenergie aufgeworfen, lautet: „Welche sozialen Umwandlungen müßte sich nicht daran knüpfen, wieviel Not des Daseins gelindert werden? „ 42
Das sind Aussagen von einem Praktiker und Theoretiker der SF, die die Entwicklung der SF aus der Utopie (soziale Frage) und ihrer Entstehung sowie ihrer Umwandlung zur konkreten mit dem Fortschritt der Wissenschaft noch einmal schlaglichtartig verdeutlichen.
Kritik an Laßwitz
Eine Kritik an Laßwitz ist nicht machbar ohne eine Kritik an Kant. Das „abstrakt-postulative“ Kantischer und Laßwitzscher Ethik führt zusammen mit der Ignoranz gegenüber sozialen Fragen ihrer Gegenwart (!) in eine idealistische Sackgasse. Darum kann Laßwitz im eigentlichen Sinne auch nur dort konkret sein, wo es um Technik geht, seine Sozialutopie bleibt abstrakt. Aber immerhin: es ist eine, die konkrete Wissenschaft zur Grundlage hat, und der Zweck des Ganzen ist sozial-utopisch. Laßwitz’ Motiv des Willens ist zweifelsohne rein und auf das Gute gerichtet, aber im Gegensatz zur Kantschen Anschauung kommt es in der Wirklichkeit eben doch auch und vor allem nicht nur auf reine Motive, sondern auf inhaltliche Folgen an. Und die inhaltlichen Folgen sind so in tatsächlicher Gesellschaft so ungefähr das Gegenteil des ursprünglich beabsichtigten. Kants und Laßwitz’ kategorischer Imperativ wirken in einer Klassengesellschaft „stark ideologisch, nämlich (als) preußischer Krückstock plus idealisiertes Reich der Bourgeoisie“. 43
Und so, wie der preußische Krückstock Friedrichs des Großen bekanntlich auch zum Prügeln seiner Untertanen verwandt wurde, wird auch aus der angeblich freien Entscheidung des einzelnen zum Sollen im gesellschaftlichen Verhältnis plötzlich ein Müssen zum Sollen, wird aus der hochgeistigen bürgerlichen Ethik ein profaner Prügelstock in preußischen Klassenzimmern (Kant nicht auswendig gelernt? Fünf Hiebe!) und auf preußischen Kasernenhöfen.
Das war weder Kants noch Laßwitz’ Absicht, und als Positives bleibt, daß Kant eine Antizipationsformel geschaffen hat, „hin zu einer nicht-antagonistischen Gesellschaft, das ist zu einer klassenlosen, in der überhaupt erst wirkliche Allgemeinheit moralischer Gesetzgebung möglich ist“.
So gesehen, nämlich als Utopie dorthin verstanden, ist Laßwitz als SF-Schriftsteller denn auch einer, der auch in der Tradition deutscher Ordnungs-Utopie steht, denn eine rigorosere Ordnungs-Utopie als die der Pflicht-Ethik, als die der Negation der Neigung zugunsten der Pflicht, ist wohl kaum vorstellbar. So schließt sich der Kreis zur Utopie in Deutschland, man möchte fast sagen: zur „typisch-deutschen“ Ordnungsutopie.
Die Freiheitsutopie kam wieder von woanders her, diesmal aus Amerika, und sie fand sogar begeisterte Aufnahme. Es ist die Rede von Edward Bellamys Roman Ein Rückblick aus dem Jahre 2000, den Kleinwächter als „halb-kommunistischen Staatsroman“ bezeichnet. 45
Dieser Roman wurde seinerzeit „fast in jedem Dorf gelesen“. 46 Wenn auch kein deutscher SF-Roman, so hat dieser Roman in Deutschland für die Vorstellung – in diesem Fall – einer sozialistischen Zukunftswelt eine große Rolle gespielt. Und um einen SF-Roman handelt es sich, denn ähnlich wie bei Laßwitz sind für Edward Bellamy Wissenschaft und Technik die Fortschrittsbringer für die Massen.
Laßwitz hat in „Über Zukunftsträume“ seine These dargelegt, daß Fortschritt der Technik Vernunft und Frieden erzwinge, aber genausowenig, wie Kant in einer Klassengesellschaft vollziehbar ist 47 , genausowenig hat sich diese These Laßwitz’ bewahrheitet. Und entgegen seiner Hoffnung mag Laßwitz auch schon geschwant haben, warum seine Utopie der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt sein könnte.
Angesichts der kriegerischen Verwicklungen mit den Martiern läßt er seinen Helden Grunthe sagen: „Was mir unmöglich macht, ohne die tiefste Erregung von diesen Dingen zu reden, ist die demütigende Überzeugung, daß wir es eigentlich nicht besser verdienen. Haben wir es verstanden, die Würde des Menschen zu wahren? Haben nicht seit mehr als einem Menschenalter alle Berufsklassen ihre politische Macht nur gebraucht, um sich wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der anderen zu verschaffen? Haben wir gelernt, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, wenn es die Gerechtigkeit verlangte? Haben die führenden Kreise sittlichen
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