SdG 05 - Der Tag des Sehers
»Jetzt sprecht Ihr von Wundern, mein Herr.«
»Ich hoffe – «
»Still.« Der Schild-Amboss hob eine behandschuhte Hand. »Unter den Bekliten kommt Bewegung auf.«
Karnadas trat zu ihm, plötzlich wieder vollkommen ernst.
»Und da«, sagte Itkovian und deutete in die Richtung, die er meinte, »Urdomen. Und an ihren Flanken Scalandi. Domänenser bewegen sich zu den Befehlspositionen.«
»Sie werden zuerst die Schanzen angreifen«, prophezeite der Destriant. »Die hoch gerühmten Gidrath des Maskenrates in ihren Festungen. Das könnte uns ein wenig Zeit verschaffen – «
»Holt mir ein paar Boten, mein Herr. Alarmiert die Offiziere. Und gebt dem Fürsten Bescheid.«
»Jawohl, Schild-Amboss. Werdet Ihr hier bleiben?«
Itkovian nickte. »Dies ist ein geeigneter Aussichtspunkt. Und jetzt geht, mein Herr.«
Auf dem Todesstreifen zogen sich Beklitentruppen rings um die Festung der Gidrath zusammen. Speerspitzen glänzten im Sonnenlicht.
Nun, da er allein war, kniff Itkovian die Augen ein wenig zusammen, während er sich die Vorbereitungen anschaute. »Ah, ja, es hat angefangen.«
Die Straßen von Capustan waren still; sie lagen praktisch menschenleer unter einem wolkenlosen Himmel, während Grantl die Calmanark-Gasse entlangging. Er kam zu der geschwungenen Mauer der abgeschlossenen Trutz, die als Uldan bekannt war, stapfte durch den Abfall, der eine Treppe bedeckte, die unter das Niveau der Straße führte, und hämmerte mit der Faust gegen die dicke Tür, die in die Grundmauern eingelassen war.
Nach einem Augenblick öffnete sie sich knarrend.
Grantl trat durch die Öffnung und gelangte in einen engen Korridor, dessen Fußboden schräg nach oben führte und in zwanzig Schritt Entfernung – wieder auf Oberflächenniveau – in einen kreisrunden, großen Innenhof mündete, in den helles Sonnenlicht fiel.
Buke schloss die schwere Tür hinter sich und ließ den wuchtigen Querbalken mühsam zurück in die Nut sinken. Dann drehte sich der dürre, grauhaarige Mann zu Grantl um. »Das ging ja schnell. Und?«
»Was glaubst du denn?«, erwiderte der Karawanenführer grollend. »Es hat Bewegung gegeben. Die Pannionier formieren sich. Boten reiten hierhin und dorthin – «
»Auf welcher Mauer warst du?«
»Auf der Nordmauer, auf dieser Seite vom Lestar-Haus … als ob das eine Rolle spielen würde. Und was ist mit dir? Ich habe vorhin vergessen zu fragen. Ist der Bastard letzte Nacht wieder auf den Straßen auf Jagd gegangen?«
»Nein. Ich habe dir doch gesagt, dass die Bewohner der Trutzen helfen. Ich nehme an, er versucht noch immer rauszukriegen, warum er vorletzte Nacht mit leeren Händen nach Hause gekommen ist – das hat ihn verunsichert, und zwar so sehr, dass es Bauchelain aufgefallen ist.«
»Das sind keine guten Neuigkeiten. Er wird Nachforschungen anstellen, Buke.«
»Klar. Aber ich habe doch gesagt, dass das Ganze nicht ungefährlich sein würde, oder?«
Na klar, zu versuchen, einen wahnsinnigen Mörder daran zu hindern, weitere Opfer zu finden – ohne dass er es bemerkt – und das Ganze am Vorabend einer Belagerung … Der Abgrund soll dich holen, Buke, in was ziehst du mich da rein? Grantl blickte die Rampe hinauf. »Sie helfen dir, hast du gesagt. Wie kommen deine neuen Freunde denn damit klar?«
Der alte Mann zuckte die Schultern. »Korbal Broach bevorzugt gesunde Organe, wenn er für seine Experimente sammelt. Es sind ihre Kinder, die in Gefahr sind.«
»Aber sie wären weniger gefährdet, wenn sie von dem Problem nichts erfahren hätten.«
»Das wissen sie.«
»Hast du Kinder gesagt?«
»Ja, es streunen die ganze Zeit mindestens vier von den kleinen Beobachtern um das Haus herum. Es gibt hier so viele obdachlose Bälger, dass sie sich leicht unter sie mischen können. Sie schauen auch immer mal wieder nach oben – « Er unterbrach sich abrupt, und in seinem Blick lag plötzlich etwas merkwürdig Verstohlenes.
Der Mann hatte ein Geheimnis, das war Grantl mittlerweile klar. »Nach oben? Warum?«
»Oh, äh, nur für den Fall, dass Korbal Broach es über die Dächer versucht.«
In einer Stadt mit weit auseinander liegenden Kuppeldächern?
»Was ich sagen wollte«, fuhr Buke fort, »ist, dass das Haus die ganze Zeit beobachtet wird. Zum Glück hockt Bauchelain noch im Keller, den er in eine Art Laboratorium verwandelt hat. Er verlässt das Haus niemals. Und Korbal schläft tagsüber. Grantl, was ich vorhin gesagt habe – «
Grantl unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung.
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