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Sechs Brüder wie wir

Sechs Brüder wie wir

Titel: Sechs Brüder wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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erklärte er die Regeln, nach denen gewählt wurde.
    „Ganz einfach: Wer für den Umzug ist, braucht bloß ein ‚ JA ‘ auf den Zettel zu schreiben. Alle anderen erinnere ich noch einmal daran, dass es auch möglich ist, Kinder in ein Erziehungsheim zu …“
    „Es handelt sich um eine freie und geheime Wahl“, korrigierte ihn Mama. „Jeder darf seine Meinung sagen.“
    „Hab ich denn was anderes behauptet?“, protestierte Papa.
    Dann schritten wir zur Wahl. Mama musste Jean Fünf und Jean Vier helfen, die noch nicht schreiben konnten. Als wir fertig waren, räusperte sich Papa ausführlich, bevor er nacheinander unsere Zettel aus der Glasschüssel zog und feierlich vorlas, was darauf stand.
    Auch ohne die Handschriften vor sich zu sehen, wusste man ganz leicht, wie jeder abgestimmt hatte.
    Ja, aber nur, wenn wir dort einen Fernseher haben : ganz klar Jean Eins.
    Ich z-ziehe gern um : Jean Fünf.
    Wo liegt Tulong eigentlich? : eindeutig Jean Drei, der nie was rafft und außerdem eine Rechtschreibschwäche hat.
    Einverstanden, wenn wir weiter jeden Samstagnachmittag ins Schwimmbad gehen : Jean Vier.
    Auf dem letzten Zettel stand in riesengroßen Buchstaben: „ NEIN! “ Weil es eine geheime Wahl war, verrate ich nicht, von wem das Nein stammte, selbst unter Folter nicht.
    „‚Nein‘?“, wiederholte Papa. „‚Nein‘? Derjenige, der sich weigert umzuziehen, soll sofort freiwillig vortreten!“
    „Es ist Jean Zwei!“, feixte Jean Eins. „Er will sich nicht von François Archampaut trennen.“
    „Ruhe!“, sagte Mama. „Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.“
    Papa hatte schnell die Stimmen zusammengezählt.Insgesamt gab es drei Ja-Stimmen, eine ungültige (die von Jean Drei) und eine Nein-Stimme.
    „Liebe Kinder!“, verkündete er daraufhin und nahm die Brille ab. „Da sich eine deutliche Mehrheit von euch für den Umzug ausgesprochen hat, ist es hiermit beschlossene Sache: Ab Herbst wohnen wir alle in Toulon, einer hübschen Hafenstadt am Mittelmeer, berühmt für ihr mildes Klima und ihr außerordentlich tüchtiges medizinisches Personal. Hipp, hipp …“
    „Hurra!“, schrien alle außer mir. „Es lebe Toulon!“
    „Pssst!“, machte Mama, die es hasst, wenn wir mit Papa Radau machen, weil es dann immer böse endet. „Ihr weckt noch Jean Sechs auf.“
    Da kam mir plötzlich eine Idee.
    „Moment mal“, sagte ich. „Jean Sechs hat auch das Recht zu wählen.“
    „Jean Sechs?“, spottete Jean Eins. „Der kann doch noch nicht mal sprechen!“
    „Das ist kein Grund“, erwiderte ich. „Er ist ein Jean wie alle anderen.“
    „Jean Zwei hat Recht“, sagte Mama. „Nur weil Jean Sechs der Jüngste ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung hat.“
    „Recht auf freie Meinungsäußerung?“, wiederholte Papa. „Aber, Schatz, er ist ein Säugling! Da könnten wir die Schildkröte ja auch gleich wählen lassen.“
    „Wie du meinst, Liebling“, entgegnete Mama sehr ruhig und gefasst. „Wenn du meinen jüngsten Sohn mit einer Schildkröte vergleichen willst …“
    Ich finde ja, dass Jean Sechs eher Ähnlichkeit mit einem großen, dicken Frosch hat, wenn er in seiner Babytrage strampelt. Aber der Blick, den mir Papa zuwarf, machte mir klar, dass ich ihm jetzt besser nicht widersprach.
    Genau in diesem Augenblick fing Jean Sechs in seinem Zimmer zu schreien an.
    „Siehst du?“, triumphierte Mama. „Er protestiert gegen diese offensichtliche Ungerechtigkeit.“
    „Na gut“, sagte Papa mit belegter Stimme, „ich schlage dir einen Kompromiss vor: Wenn Jean Sechs weniger als drei Minuten und dreißig Sekunden brüllt, dann stimmt er dem Umzug zu. Wenn er länger brüllt, ist er dagegen. Einverstanden?“
    „Einverstanden“, sagte Mama.
    Papa hielt den Blick auf den Sekundenzeiger seiner Uhr gerichtet. Wir hielten uns die Ohren zu und umringten ihn.
    Sich drei Minuten und dreißig Sekunden lang das Gebrüll von Jean Sechs anzuhören, kann ganz schön quälend sein – sogar wenn es dabei um so etwas Wichtiges geht wie die Entscheidung, ob wir umziehen.
    Eine Minute … Eine Minute und dreißig Sekunden … Zwei Minuten … Zwei Minuten und fünfundvierzig Sekunden … Ich hatte das Gefühl, dass der Sekundenzeiger auf Papas Uhr im Schneckentempo vorrückte … Drei Minuten und zehn Sekunden … Drei Minuten und zwanzig Sekunden …
    Als ich schon glaubte, gewonnen zu haben, gab Jean Sechs auf einmal ein leises Gurgeln von sich und

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