Sechs Brüder wie wir
richtiger Mann sein willst.“ Jean Eins lachte spöttisch.
Und dann rannten wir an der Kreuzung auseinander, um nicht zu spät in die Schule zu kommen.
Als wir am späten Nachmittag aus der Schule kamen, war Papa noch nicht wieder zu Hause.
„Eine Überraschung ist eine Überraschung“, sagte Mama und weigerte sich, auf unsere Fragen zu antworten. „Ihr müsst euch schon bis zum Abendessen gedulden. Habt ihr denn keine Hausaufgaben zu machen?“
Weil bei den Nachbarn im Fernsehen zu dieser Uhrzeit immer Rin Tin Tin lief, haben wir eifrig „Ja!“ gesagt und sind zum Klo gestürzt.
Wir haben keinen Fernseher. Mama sagt, dass wir Besseres zu tun haben, als uns von stumpfsinnigen Fernsehsendungen berieseln zu lassen. Um Rin Tin Tin zu gucken, müssen wir deshalb immer auf die Klobrille steigen: Durch das kleine Lüftungsfenster hat man einen genialen Blick auf den Fernseher von Herrn Bertholin. Weil er im Hochhaus gegenüber wohnt, ist der Bildschirm ungefähr so groß wie eine Briefmarke, aber mit dem Feldstecher von Jean Eins können wir die Geschichte halbwegs mitverfolgen, auch wenn der Ton fehlt.
Das Dumme dabei ist, dass wir nur ein Fernglas haben und dass Jean Eins es immer für sich haben will. Außerdem ist die Klobrille nicht groß genug, um darauf zu dritt zu stehen.
Jean Drei hörte nicht auf zu schreien: „Jetzt bin ich dran! Jetzt bin ich dran!“, und zerrte an unseren Hosenbeinen. Deshalb hat Jean Eins ihm eine gescheuert und es ist für uns alle drei mal wieder schlecht ausgegangen.
„Ich hab gedacht, ihr müsst Hausaufgaben machen!“, rief Mama. „Auf eure Zimmer, und zwar sofort!“
Das Schuljahr war bald zu Ende und außer Jean Eins, der dauernd lernen muss, seit er mit Latein angefangen hat, hatten wir nichts auf. Aber weil Herr Martel sehr streng ist, habe ich die Gelegenheit genutzt, um die nächste Strafarbeit vorzubereiten, kann ja nie schaden.
Ich habe dafür eine besondere Methode entwickelt. Ich schreibe zweihundertmal untereinander:
Ich werde nie mehr …
Ich werde nie mehr …
Und lasse den Rest der Zeile frei. Je nach Strafarbeit brauche ich dann nur noch zu ergänzen:
… einen dummen Witz über ein Mädchen reißen, nur weil sie eine Zahnspange hat.
Oder:
… während des Religionsunterrichts mit Papierkügelchen werfen.
Weil wir nur einen großen Schreibtisch für uns beide haben, schielte Jean Eins ununterbrochen zu mir herüber. Er wollte unbedingt entziffern, was ich da mit dem Arm verdeckte.
„Ich werde nie mehr, ich werde nie mehr …“, feixte er. „Grundschüler sind ganz schön bescheuert!“
„Blödmann“, sagte ich. „Ist nicht lang her, da warst du auch noch in der Grundschule.“
„Ja, aber ich hab nie eine Strafarbeit aufgebrummt bekommen.“
„Wundert keinen“, sagte ich. „Du warst ja der Liebling von Herrn Martel.“
Jean Eins hasst es, wenn man behauptet, dass er Herr Martels Liebling war. Deshalb nahm er seinen Füller, schraubte ihn auf und kleckste mit der Patrone das Blatt voll, auf dem ich meine Strafarbeit vorbereitet habe. „Ich werde nie mehr, ich werde nie mehr, ich werde nie mehr!“, brüllte er dabei, als wäre er krank im Kopf.
„Das werd ich dir heimzahlen!“, sagte ich.
Wir wälzten uns gerade im Klammergriff auf dem Boden, als Jean Drei ins Zimmer kam.
„Mama, Mama!“, rief er. „Die beiden Großen raufen schon wieder miteinander!“
„Elender Petzer!“, sagte Jean Eins.
Und er warf einen Schuh nach ihm. Jean Drei duckte sich schnell weg und Jean Vier, der mit seinem Holzschwert in der Hand herangaloppiert kam, erwischte es voll im Gesicht. Sofort schmiss er sich ins Getümmel, nicht ohne vorher Jean Fünf zu Hilfe zu rufen.
Es wurde eine Wahnsinnsrauferei.
Als Jean Drei auf das Stockbett klettern wollte, reagierte Jean Eins blitzschnell und war vor ihm oben.
„Raus aus unserem Zimmer oder ihr seid tote Männer!“, rief er und schwang dabei sein Kopfkissen.
„Niemals!“, brüllten Jean Drei und Jean Vier zurück. „Wir sind Angreifer aus dem Weltall! Euer Planet gehört uns!“
„Achtung, die Pygmäen starten eine Attacke!“, rief ich und kletterte ebenfalls aufs Bett. „Nur über unsere Leichen!“
„Wir kennen keine Gnade!“, brüllten die Mittleren.
„Na gut, wenn ihr wollt“, sagte ich. „Aber unsere Sachen rührt ihr nicht an!“
„Keine Sorge“, feixte Jean Eins und nahm seine Brille ab. „Die sollen es nur mal probieren, das wird für sie ein böses Ende nehmen
Weitere Kostenlose Bücher