Seefeuer
»Wie
kommen Sie dazu …«.
»Denken Sie nach: Die Polizei
zeichnet eingehende Notrufe auf. Für die ist es ein Leichtes, den Halter eines
Handys zu ermitteln. Wollen Sie auf diese Weise mit dem ominösen Tod einer
Fünfzehnjährigen in Verbindung gebracht werden, noch dazu unter diesen … diesen
nicht eben alltäglichen Umständen? In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen:
Vergessen Sie, was eben passiert ist. Denken Sie sich eine Geschichte aus,
erzählen Sie meinetwegen, Ihr Handy sei Ihnen gestohlen worden oder so …«
Zähneknirschend gab der Weißhaarige
nach. Die Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Dann ging er wortlos
zur Tür. Leise verließen die drei Männer kurz nacheinander die Kajüte.
Kaum war Medicus von Bord
gegangen, eilten die beiden Männer erneut nach unten. Mochten sie bis dahin
gehofft haben, das Bild auf ihrer Netzhaut würde lediglich einen Alptraum
widerspiegeln, so erwies sich der Anblick des leblos daliegenden Mädchens als
erschreckend eindringliche und äußerst beunruhigende Realität.
»Damit können wir den Laden hier
dichtmachen«, stöhnte der Bärtige und wies auf den Leichnam. »Es hilft nichts,
wir müssen die Polizei rufen …«
»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«,
widersprach der Blonde wütend. »Jetzt überleg doch mal: Die Polizei kann dem
Mädchen auch nicht mehr helfen. Was passiert ist, ist passiert. Ich bin genauso
erschüttert wie du, ganz ehrlich. Aber was soll sich ändern, wenn wir die
Bullen holen, außer dass wir unseren Job los sind und für unbestimmte Zeit ins
Kittchen wandern – ganz zu schweigen davon, dass unsere üppig sprudelnde
Geldquelle von jetzt auf nachher versiegen wird? Von was willst du dann deine
Schulden bezahlen, he? Nein, nein, die Bullen sind die schlechteste aller
Lösungen, glaub mir. Dafür stecken wir schon viel zu tief in der Scheiße! Wir
beide, wohlgemerkt! Wir können sowieso von Glück reden, wenn die nicht gleich
hier antanzen, nachdem dieser Idiot den Notruf gewählt hat.«
»Was soll das heißen, die Bullen
sind keine Lösung – weißt du eine bessere?« Wenig überzeugt ließ sich der
Bärtige auf den Stuhl fallen und vergrub den Kopf in beiden Händen.
»Zunächst einmal müssen wir die
Kleine entsorgen.«
Wie von der Tarantel gestochen
sprang der Bärtige hoch und machte Anstalten, seinem Partner an den Kragen zu
gehen. »Entsorgen? Was heißt das? Willst du sie einfach ins Wasser oder gar auf
den Müll werfen, gewissermaßen als Kollateralschaden? Meinst du das?«
Der Blonde machte sich frei.
»Beruhige dich und sei nicht so laut. Entsorgen heißt wegschaffen, nicht mehr
und nicht weniger. Sie muss vom Schiff, und zwar so, dass keine Spur zu uns
führt, wenn man sie findet. Geht das in deinen Schädel rein?«
Fassungslos sah der Bärtige zu ihm
auf. Dann schüttelte er voll Abscheu den Kopf. »Was bist du nur für ein
zynischer Hund! Und mit so was hab ich mich eingelassen«, stieß er hervor und
wandte sich ab.
»Das hättest du dir früher
überlegen müssen«, antwortete der Blonde, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Mitgefangen heißt mitgehangen – vergiss das nie!«
1
Selten hatte ein Tag so beschissen begonnen,
mit penetrantem Regen aus tief hängenden Wolken. Zum Glück hatte SWR 4 baldige
Besserung in Aussicht gestellt, rechtzeitig zum bevorstehenden Wochenende.
Wolf hatte sich von dem miesen Wetter an diesem Morgen
nicht beirren lassen; weder Dauerregen noch ein scharfer Gegenwind konnte ihm
seinen ›Frühsport‹ vermiesen. Noch bei Dunkelheit war er auf sein Stahlross
geklettert und hatte mit eingezogenem Kopf und hochgekrempelten Hosen die drei
Kilometer von seinem Wohnort Nußdorf nach Überlingen zurückgelegt. Beinahe
hätte ihm eine Bö sein Barett in den See geweht, was gleichbedeutend mit einer
Umkehr gewesen wäre. Ohne Kopfbedeckung hätten ihn keine zehn Pferde unter
Leute gebracht, so viel Eitelkeit gestattete er sich. Die kreisrunde Kahlstelle
auf seinem Kopf ging niemand etwas an. Längst hatte er es satt, den Leuten
wieder und wieder erklären zu müssen, dass sie das Werk eines wild gewordenen
Messerstechers war, der auf diese Weise versucht hatte, sich seiner Festnahme
zu entziehen.
So war er um Punkt fünf klitschnass im ›Aquarium‹
eingetroffen, der modernen, rundum verglasten Polizeidirektion. Selbst der
Regenumhang hatte nicht verhindern können, dass die Nässe bis auf die
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