Seehunde in Gefahr
in ein Gespräch mit Jann vertieft, die anderen Wattwanderer befanden sich bereits auf
dem Nachhauseweg.
Bevor es jemand bemerkte, lief er los. Wahrscheinlich würde er sich hinterher ziemlich großen Ärger einhandeln, aber er konnte
seinen Gameboy doch nicht einfach im Watt vermodern lassen. Außerdem würde er es hier sonst gar nicht mehr aushalten. Lukas
folgte den Fußspuren und schaute sich aufmerksam um.
Irgendwann blieb er etwas ratlos stehen und schaute hinter sich. Er war überrascht, wie weit er sich schon von der Insel entfernt
hatte. Er beschattetedie Augen und sah Jann und Richard heftig winken. Klarer Fall: Sie wollten, dass er sofort zurückkam.
»Erst, wenn ich den Gameboy habe«, murmelte Lukas und suchte weiter.
Verblüfft stellte er ein paar Minuten später fest, dass er in Wasser stand. Verdammt!
»Es ist sehr wichtig, dass man nicht ohne einen kundigen Führer ins Watt geht. Das kann sehr gefährlich werden«, hatte Jann
warnend gesagt und dabei vor allem die Kinder angesehen.
Das hatte Lukas nun davon. Aber er würde ja gleich wieder umkehren. Er lief noch ein Stück weiter und sah endlich seinen Gameboy
neben einem Büschel Strandflieder liegen. Das Wasser kam jetzt von allen Seiten, aber bis dorthin war es noch nicht gelangt,
denn die Pflanzen standen auf einem kleinen Hügel.
Erleichtert hob Lukas das Gerät auf und steckte es tief in die Hosentasche, damit er es nicht noch einmal verlor. Doch als
er sich auf den Rückweg machen wollte, fand er ihn versperrt. Wo vorher noch Schlickboden gewesen war, floss plötzlich ein
breiter Bach. Wie war das möglich?
Lukas erinnerte sich, dass er eine Art Senkedurchquert hatte. Ihm blieb keine andere Wahl – er musste es irgendwie schaffen, den vollgelaufenen Priel zu durchqueren,
um wieder auf die andere Seite zu gelangen. Ein bisschen unheimlich war ihm schon zumute, als er in das Wasser watete. Es
war ganz schön tief und er konnte schon nach einigen Schritten nicht mehr stehen. Er zog den Gameboy aus der Hosentasche,
hielt ihn hoch über den Kopf und begann zu schwimmen. Doch die Strömung war viel zu stark, er hatte mit einem Arm und den
Beinen nicht die Kraft, dagegen anzukommen. Das andere Ufer des Priels schien sich immer weiter zu entfernen.
Er brauchte beide Arme, doch dafür musste er den Gameboy opfern. Er begann, gegen die Strömung anzuschwimmen, doch sie riss
ihn immer weiter mit. Panik machte sich in ihm breit.
»Hilfe!«, schrie er außer sich. Brackwasser schwappte in seinen Mund, er hustete und spuckte, verschluckte sich, schnappte
nach Luft. »Hiiiilfe!«, schrie er wieder. Wo war seine Mama? Oder Richard? Hörte ihn denn niemand? Immer wieder tauchte er
unter und spürte, wie ihn langsam die Kräfte verließen.
Gerade als er zum wiederholten Mal Wasser verschluckthatte, wurde er von zwei starken Armen gepackt und hochgezogen. Einen Moment lang hing er wie ein nasser Hund in der Luft,
dann landete er etwas unsanft auf seinen Füßen, die jedoch sofort nachgaben.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, brüllte Richard ihn an.
»Mein Gameboy …«, antwortete Lukas. »Ich hatte ihn verloren und wollte –«
»Sag das deiner Mutter«, unterbrach ihn Richard. Dann zog er ihn hoch und hinter sich her zur rettenden Insel.
Lukas wagte es nicht, seiner Mutter in die Augen zu schauen. Eine Zeit lang, die Lukas wie eine Ewigkeit vorkam, stand sie
nur da und sagte nichts. Dann umarmte sie ihn und drückte ihn an sich. »Mach das nicht noch mal«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht.«
»Tut mir leid«, sagte Lukas und begann zu weinen.
»Du bist so blöd«, sagte Viola verächtlich.
Dem konnte Lukas nichts entgegensetzen. Dankbar nahm er Richards Jacke, die ihn jedoch nur wenig gegen den kalten Wind schützte.
Er zitterte. Seine Mutter legte einen Arm um ihn und zog ihn mit sich.
»Du hättest auf Jann hören sollen«, sagte Viola vorwurfsvoll. »Er hat gesagt, dass man nicht ohne Führer ins Watt darf.«
»Es reicht jetzt, Viola«, sagte Lukas’ Mutter. »Ich denke, er hat es kapiert.«
Lukas nickte. Mit hängenden Schultern folgte er den anderen zurück zur Wohnung. Dort stellte ihn seine Mutter erst mal unter
die heiße Dusche.
Als er danach in eine Decke gewickelt auf dem Sofa saß und den heißen Kakao trank, den seine Mutter ihm gemacht hatte, fühlte
er sich langsam besser. Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen. Seine Mutter bestand
Weitere Kostenlose Bücher