Seehunde in Gefahr
beiden Schiffen. Deren Silhouetten überlappten sich mittlerweile
und Lukas war sicher, dass sie in Kürze auseinanderschwimmen würden.
Doch nichts dergleichen geschah.
»Da scheint was los zu sein«, sagte ein älterer Mann zu seiner Frau, die sich gerade abmühte, sich unter einem zeltartigen
Tuch umzuziehen.
Ihre Antwort war nicht zu verstehen, da sie mit dem Kopf in dem Zelt stecken geblieben war. Lukas verkniff sich ein Lachen,
während ihm der Mann verschwörerisch zuzwinkerte.
»Ich geh trotzdem mal gucken«, sagte er, nahm sein Fernglas und lief Richtung Meer.
Seine Frau hatte sich befreit und starrte ihm ungläubig nach. Seufzend machte sie sich daran, alle Utensilien aufzuklauben
und in eine riesige Strandtasche zu stecken.
Lukas sah sich um. Einige Leute zeigten mit dem Finger aufs Meer hinaus; andere rannten zu ihrem Strandkorb, um Fernglas oder
Fotoapparat zu holen, wieder andere diskutierten miteinander.
»Lasst uns doch auch mal schauen, was da los ist«, schlug er vor.
Zusammen mit Richard und Viola machte er sich auf den Weg zum Meer. Ein junger Mann, der vorher mit den Mädchen Volleyball
gespielt hatte, kam ihnen entgegengelaufen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Richard ihn.
Der Mann hielt nur kurz an, schnappte nach Luft und stammelte: »Zwei Schiffe … zusammengestoßen … da draußen.« Sein Arm schoss Richtung Meer, dann rannte er weiter.
»Ich hatte recht«, schrie Viola aufgeregt. Richard nahm sie beim Arm und hielt ihr den Mund zu.
»Süße, nicht so laut. Und es wäre wirklich besser, wenn du nicht recht hättest«, sagte er.
»Wmm?«, machte Viola hinter seiner Hand. Ihr Vater ließ los.
»Warum?«, wiederholte Viola eingeschnappt.
Richard seufzte. »Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber das könnte in einer Katastrophe enden.«
Lukas hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl im Magen. Was meinte Richard damit? Schwebten sie in Gefahr? Er sah mehrere Leute
mit dem Handy telefonieren. Die Rettungsschwimmer standen auf ihrem Turm, einer beobachtete den Horizont mit dem Fernglas,
der andere sprach in ein Funkgerät. Mit der Ruhe am Strand war es vorerst vorbei.
Die Nachricht schien sich in Windeseile verbreitet zu haben, denn vom Dorf her strömten Menschen an den Strand. In einiger
Entfernung entdeckte Lukas Onnos rote Baseballkappe.
»Da vorne ist Onno«, sagte er zu Richard.
»Na los, nichts wie hin«, antwortete dieser und schob Lukas vorwärts. Lukas rannte zu Onno, der ziemlich besorgt aufs Meer
starrte.
»Stimmt es, was sich die Leute erzählen?«, wollte Lukas wissen.
»Wenn sie sagen, dass ein Container- und ein Passagierschiff zusammengestoßen sind, dann stimmt es«, gab Onno zurück.
»Klingt nicht gut«, sagte Lukas.
Onno erwiderte nichts mehr.
»Was passiert jetzt?«, hakte Lukas nach.
»Kommt darauf an, wie schwer der Schaden ist und was das Containerschiff geladen hat«, erwiderte Onno, ohne den Blick von
den beiden Schiffen zu nehmen.
»Welcher Schaden?«
Onno sah Lukas an, als gäbe es keine dümmere Frage, die man in einer solchen Situation stellen konnte.
»Sorry«, sagte Lukas. »Ich bin nun mal nicht von hier.«
Onno seufzte und sagte: »Schiffe fahren mit einer Mischung aus Schwer- und Dieselöl. Wenn das ausläuft, kommt es zur Katastrophe.«
Das mulmige Gefühl, das Lukas hatte, breitete sich aus. Onno wirkte sehr ernst und bedrückt.
»Können wir etwas tun?«, fragte Lukas.
Onno schüttelte den Kopf. »Im Moment wahrscheinlichnicht. Erst mal kümmert sich das Wasser- und Schifffahrtsamt darum. Solange nur die aktiv werden, ist es nicht so schlimm.«
Lukas starrte auf das Meer. Die Schiffe wirkten klein wie Spielzeug. Die Entfernung war sehr schwer einzuschätzen, aber es
mussten viele Kilometer sein.
»Sie sind so weit draußen«, dachte er laut.
»Die Flut bringt alles mit«, erwiderte Onno. »Schau dir nur mal den Strand an, wenn Ebbe ist. Alles voller Müll.«
Das war Lukas schon aufgefallen. Als er neulich mit seiner Familie spazieren gegangen war, hatten sie nicht nur jede Menge
Algen gefunden, sondern auch Plastikflaschen, ölverschmiertes Treibholz und rostige Konservendosen. Wenn jetzt auch noch das
Öl hinzukam …
Nach allem, was er in den letzten Tagen über das Wattenmeer erfahren hatte, wusste er, welche Folgen eine solche Katastrophe
für die vielen Tiere und Pflanzen haben konnte.
Onno starrte abwechselnd auf die Schiffe und in den Himmel. »O nein, bitte
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