Seekers 03: Auf dem Rauchberg
erwiderte Lusa belustigt. »Aber tatsächlich ist er das auch, jedenfalls im Grunde seines Herzens.«
»Taqqiq genauso«, beharrte Kallik. Lusa blickte zur Seite und verfolgte das Thema nicht weiter. Doch während sie stetig den Hang erklommen und fühlten, wie die Sonne das kalte Gestein unter ihren Tatzen erwärmte, schossen immer wieder dieselben Fragen durch Kalliks Kopf. War es zu spät für Taqqiq? War es eine gute Idee gewesen, ihn dazu zu bewegen, sich ihnen anzuschließen? Oder hatte er sich zu sehr verändert, als dass er je wieder der Bruder sein konnte, den sie auf dem Eis gehabt hatte?
2. KAPITEL
Toklo
Toklo war froh, wieder unterwegs zu sein, den Großen Bärensee und die Versammlung der Bären hinter sich zu lassen. Am Ufer hatte er sich eingeengt gefühlt, da waren zu viele Bären gewesen, die ihm erzählen wollten, was er zu tun und was er zu glauben hatte. Frei und stark hatte er sich nur gefühlt, als er zur Tatzenspureninsel geschwommen war, um dem Großen Bären im Himmel zu beweisen, dass die Braunbären es verdient hatten, Fische in den Flüssen zu finden und eigene Reviere zu besitzen. Dort hatte er auch gegen Shoteka gekämpft und war als Sieger zurückgekehrt. Er war allen anderen Braunbären ebenbürtig; er hatte nichts mehr zu beweisen.
Die Sonne wanderte über den Himmel, während sie den felsigen Grat erklommen. Es gab keine Bäume mehr und auch keine Wasserläufe, nur ein paar vertrocknete Pflanzen. Aber es war ein gutes Gefühl, wieder mit seinen Gefährten zusammen zu sein. Er empfand es sogar irgendwie beruhigend, Ujurak, diesem überaus seltsamen Braunbären, zu folgen.
»Ich glaube ja nicht, dass er weiß, wo es langgeht«, murmelte Taqqiq.
Toklo warf Taqqiq einen Blick von der Seite zu. Der Bär trottete müde vor sich hin und kniff die Augen vor dem Sonnenlicht zusammen.
»Doch, das weiß er«, widersprach Toklo. Dieser hier war allerdings ein Gefährte, den sie, soweit es ihn betraf, gut und gern am See hätten zurücklassen können.
Lusa schnaubte leise und Kallik sah Toklo besorgt an.
Immerhin, diese Kallik war gar nicht so übel. Sie war die ganze Nacht durchgewandert, ohne sich zu beklagen, obwohl ihre Tatzen vom Schmutz braun waren und ihr Fell jeglichen Glanz verloren hatte.
Lusa stapfte neben Kallik her, als würden sie sich schon aus der Geburtshöhle kennen. Seit ihrem Aufbruch vom Großen Bärensee hatten sie praktisch ohne Pause miteinander geschwatzt, jedenfalls kam es Toklo so vor. Eines stand fest: Es hatten sehr viel mehr Ruhe und Frieden geherrscht, als Toklo und Ujurak noch allein unterwegs gewesen waren.
»Du bist wirklich geflogen?«, fragte Lusa gerade. »Hoch am Himmel?«
»Na ja, ich bin nicht selber geflogen«, gestand Kallik. »Ich wurde von einem riesigen Schwirrvogel getragen.«
Lusa riss die Augen auf. »Das muss der größte Vogel der Welt gewesen sein!«
»Er war wie ein fliegendes Feuerbiest«, erklärte Kallik. »Der Geruch war ganz ähnlich, nach Verbranntem und nach Krallenlosen.«
»Ich habe schon viele Flachgesichter – äh, ich meine Krallenlose – gesehen«, erwiderte Lusa. »Aber die haben uns zu fressen gebracht und uns im Gehege leben lassen.«
»Und sie haben euch nie etwas getan?«
»Nein, nie.« Lusa schüttelte entschieden den Kopf. Dann hielt sie inne und ihr Blick verdüsterte sich. Sie sah Toklo an, und er wusste, dass sie an seine Mutter Oka dachte, die von den Flachgesichtern weggebracht worden war, nachdem sie einen von ihnen angegriffen hatte.
Toklo taten die Muskeln weh, nachdem er gestern so viel im Großen Bärensee hatte schwimmen müssen. Dabei war ihm Oka in einer Vision erschienen, Oka, seine Mutter, und Tobi, sein kleiner Bruder, der gestorben war, bevor sie den Großen Lachsfluss erreicht hatten. Sie hatten Toklo davor bewahrt, in den Wellen zu ertrinken, hatten ihm den Mut und die Kraft gegeben, die er brauchte, um es ganz bis zur Insel zu schaffen. Nachdem er über Monde hinweg geglaubt hatte, seine Mutter und sein Bruder würden ihn in die Tiefe ziehen, sobald er zu schwimmen versuchte, damit seine Seele sich ihnen anschließen konnte, hatten sie ihm gezeigt, dass sie ihn liebten und ihm helfen wollten, am Leben zu bleiben. Und jetzt vermisste er sie umso mehr.
Während er weiter den Berg hinauftrottete, lauschte er dem Geschnatter der Bärinnen und starrte auf seine Tatzen. Er war müde, wenn er dies auch den anderen gegenüber niemals zugeben würde, schon gar nicht Taqqiq
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