Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Anrufen kann ich jetzt niemanden mehr. Ich muss alle per SMS informieren.
Ich gehe zurück in die Küche. Hoize und Kirchi sitzen an meinem Rechner. Sie sehen sich gerade irgendein Youtube-Video an.
»Das war’s«, sage ich und lasse mich auf meinen Stuhl fallen.
Die beiden sehen mich fragend an. Ohne eine Reaktion abzuwarten, rede ich weiter.
»Er war rechtzeitig am Flugsteig, aber die Maschine war voll. Sie haben ihn einfach nicht mitgenommen.«
Hoize und Kirchi schweigen noch immer. Mir laufen dicke Tränen über die Wangen. Normalerweise wäre es mir peinlich, vor den beiden zu weinen. Jetzt ist es mir egal. Ich bin wütend. Wütend auf mich. Ich bin das Risiko wohl wissend eingegangen. Heribert hat noch zu mir gesagt, dass es bis zur letzten Minute unsicher ist, ob er pünktlich nach Hause kommt. Wenn er erfährt, dass ich alle seine Freunde nach Berlin gelockt habe und das Ganze dann schiefgegangen ist, wird er mit Sicherheit sauer sein. »Gerade du solltest es doch besser wissen«, wird er zu mir sagen. Und er hätte recht. Von wegen erfahrene Seemannsbraut. Naiv und dumm war das von mir. Ein richtiger Anfängerfehler.
»Dann können wir ja noch was von dem Chili essen, oder?«, fragt Kirchi trocken. Er wirft einen Blick auf den großen Topf, der auf dem Herd steht und noch leise vor sich hin kocht. Er wollte einen Scherz machen, aber ich kann nicht lachen.
Schweigend sitze ich am Küchentisch. Ich sehe alles verschwommen, weil ich noch immer unaufhaltsam Tränen vergieße. Ich sehe in die Ecke, in der sich Chipstüten und die blau-weiß gestreiften Servietten stapeln. Die Streifen verschwimmen in meiner Wahrnehmung zu vielen Wellenlinien. Dann sehe ich den Geburtstagskuchen mit der bunten 31, ich sehe den Blumenstrauß und Heriberts Urlaubskalender. Ich versuche, mich zusammenzureißen, aber ich kann einfach nicht anders. Immer mehr Tränen kullern meine Wangen hinunter und tropfen auf meinen Pullover.
Hoize und Kirchi ist die Situation unangenehm. Sie starren beide auf den Computerbildschirm. Hauptsache, sie müssen mir nicht beim Weinen zusehen. Sie suchen im Internet nach weiteren Flugverbindungen von Atlanta nach Berlin. Die meisten Verbindungen liegen in der Vergangenheit. Oder sie sind ausgebucht. Aber die zwei geben nicht auf.
Schon wieder klingelt das Telefon. Schon wieder ist es Heribert. Ich nehme ab und bleibe einfach in der Küche sitzen. Jetzt ist es auch egal, denke ich. Jetzt kann er ruhig hören, dass die zwei da sind.
»Hallo«, sage ich leise.
»Hallo, meine liebe Nancy. Na, wechselst du schon die Schlösser aus?«, fragt Heribert amüsiert. Er hat gut lachen, denke ich. Noch weiß er nichts von der Party.
»Ha ha. Sehr lustig«, gebe ich genervt, aber schwach zur Antwort.
»Sie haben mich jetzt noch einmal umgebucht. Wieder über Paris.«
»Und wann geht es los?«, frage ich leise. Eigentlich will ich die Antwort gar nicht hören. Wahrscheinlich verkrafte ich die Wahrheit gar nicht. Aber fragen muss ich dennoch. Bevor ich die SMS-Nachrichten mit der Absage losschicke, brauche ich Gewissheit.
»In vier Stunden.«
»Was? In vier Stunden?«
Jetzt fangen auch Hoize und Kirchi wieder an, miteinander zu reden. Ich stehe auf und gehe ins Wohnzimmer.
»Ja, heute Abend geht noch eine weitere Maschine nach Paris. Glück gehabt, würde ich sagen.«
»Das glaube ich nicht. Tatsächlich? Ich habe schon gedacht, dass sie dich jetzt ins Hotel stecken. Hast du jetzt auch sicher einen Sitzplatz? Und wann bist du in Berlin?«
»Wenn alles gutgeht, morgen Nachmittag um 17 Uhr. Aber ich melde mich definitiv vorher noch mal bei dir.«
»Ach Heribert, du weißt gar nicht, wie glücklich ich jetzt bin.«
»Und ich erst«, sagt er. »Also wechselst du die Schlösser doch nicht aus?«
»Nein, ich glaube, damit warte ich noch etwas. Es tut mir leid, dass ich vorhin so zickig war. Aber das ganze Hin und Her macht mich noch wahnsinnig. Das ist einfach nichts für meine Nerven.«
»Mir tut es doch auch leid, dass ich vorhin so doof zu dir war. Aber ich bin wirklich fertig. Wenn ich nach Hause komme, will ich nur noch in die Badewanne und schlafen.«
»In die Badewanne und schlafen. Ist klar.« Ich muss lachen.
»Nancy, für alles andere bin ich viel zu schwach. Glaub mir. Ich habe seit Tagen nicht richtig geschlafen. Ach was: Eigentlich habe ich seit September nicht mehr richtig geschlafen.«
»Ja, ja, du Held. Aber wenn das so ist, dann kommt es auf eine weitere schlaflose Nacht doch
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