Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
wird. Durch eines der großen Fenster in Richtung Rollbahn sehe ich, wie die Air-France-Maschine langsam heranfährt und vor dem Gate stoppt. Ich spüre, wie mein Herzschlag immer schneller wird. Nur noch wenige Minuten, denke ich, dann werde ich ihn sehen. Doch plötzlich bekomme ich Panik. Was ist, wenn er vor mir steht und ich nichts empfinde? Was ist, wenn unsere Liebe in den fünfeinhalb Monaten verlorengegangen ist? Jetzt beruhige dich endlich, sage ich zu mir selbst.
Die ersten Fluggäste laufen in die Halle. Gespannt sehe ich zu ihnen hinüber. Auf der Suche nach Heribert scanne ich jeden einzelnen Passagier. Ich frage mich, ob ich ihn überhaupt sofort erkennen werde. Doch diese Angst ist unbegründet. Ich sehe nur einen Teil seines Kopfes, und trotzdem erkenne ich ihn auf Anhieb. Er läuft hinter ein paar anderen Passagieren. Ich erkenne ihn am Gang. Heribert wippt beim Gehen ganz leicht auf und ab. Sofort schießen mir Tränen in die Augen. Jetzt ist er am Gepäckband angekommen. Leider steht er noch immer etwas verdeckt hinter anderen Leuten. Ich nehme mein Telefon und rufe ihn an. Ich sehe, wie er zum Telefon greift und abhebt.
»Ich kann dich sehen«, flüstere ich in mein Handy.
»Wirklich?«, fragt er amüsiert und versteckt sich noch ein bisschen mehr hinter den Rücken der anderen.
»Komm schon, zeig dich!«, sage ich lachend.
Jetzt kommt er langsam vor zur Scheibe. Er strahlt mich an. Ich habe ganz vergessen, wie gut er aussieht. Er ist schlank und braungebrannt. Er sieht aus, als käme er aus dem Urlaub und nicht von einem mehr als fünfmonatigen Arbeitseinsatz. Jetzt steht er direkt vor mir. Nur die Scheibe trennt uns noch.
»Gut siehst du aus«, sagt er leise.
»Ach komm schon. Ich weiß, dass das nicht stimmt«, antworte ich lächelnd.
»Doch«, sagt er. »Nur ein bisschen blass vielleicht. Hattet ihr hier keine Sonne?«
»Na vielen Dank auch«, antworte ich. Dann lachen wir beide. Für einen kurzen Moment sehen wir uns in die Augen.
»Weinst du?«, fragt er mich, und seine Stimme klingt dabei besorgt.
»Ja, weil ich mich so freue, dich zu sehen«, antworte ich. Dann muss ich kurz schluchzen. In dem Moment wird es ihm zu viel. Heribert dreht sich wieder um und geht mit wippendem Gang zurück zum Gepäckband.
»Dein Seesack wird sowieso nicht dabei sein«, sage ich schnippisch. »Eigentlich kannst du also auch direkt rauskommen.« Heribert hat sich jetzt wieder hinter ein paar Leuten versteckt. Er fremdelt schon wieder. Ich finde das lustig.
»Ja, das kann schon sein. Aber ich möchte trotzdem lieber warten.«
»Konntest du im Flugzeug wenigstens etwas schlafen?«, frage ich nach einer kurzen Pause.
»Nein, ich saß in der Mitte und war komplett eingequetscht. Ich habe kein Auge zugemacht. Ich bin so fertig, ich will nur noch ins Bett.«
Begleitet von einem lauten Pfeifton, setzt sich nun das Gepäckband in Bewegung. Nach und nach ziehen immer mehr Passagiere ihre Koffer, Taschen und Rucksäcke vom Band und kommen nach draußen. Heribert steht mit gesenktem Kopf vor dem Band und wartet. Mittlerweile kann ich ihn gut sehen. Es sind nicht mehr viele Leute da, hinter denen er sich verstecken könnte. Ich bin so aufgeregt, dass ich Heriberts Freunde und die Party schon fast vergessen habe. Ich kann nur noch an den Moment denken, an dem Heribert endlich nach draußen kommt. Ich kann es kaum erwarten, ihn zu umarmen. Ich will ihn anfassen, ganz fest drücken, ihn küssen und nie wieder loslassen. Das Gepäckband ist fast leer, nur noch wenige Passagiere greifen nach ihren Taschen. Heribert bewegt sich kaum. Ich nehme das Telefon und rufe ihn noch einmal an.
»Du quälst mich«, sage ich leise in den Hörer, während ich mich mit dem Oberkörper an die Scheibe lehne.
»Ja, aber mein Seesack war noch nicht dabei«, antwortet Heribert entschuldigend und sieht kurz auf.
»Ich weiß, aber der kommt jetzt auch nicht mehr.«
»Ich fürchte, du hast recht. Ach, jetzt hält auch noch das Band an. Okay, das war’s. Ich komme jetzt raus. Bis gleich«, sagt er, lächelt in meine Richtung und legt auf. Tatsächlich, das Band hat aufgehört, sich zu drehen. Heribert setzt seinen Handgepäcksrucksack auf den Rücken und läuft zum Ausgang. Mit zitternden Knien gehe ich ihm entgegen. Schnell hole ich meinen Fotoapparat aus der Tasche. Als er durch die Glastür kommt, mache ich ein Bild von ihm. Heribert lächelt, aber er hat seinen typischen leicht genervten Foto-Gesichtsausdruck aufgesetzt. Er
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