Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
inzwischen aufgegessen. Mit der Serviette wischt er sich über den Mund und macht ein zufriedenes Gesicht. Mein Teller ist noch halbvoll. »Ich habe keinen Hunger«, sage ich zur Entschuldigung, dann stehe ich auf und bezahle.
Auf dem Nachhauseweg schlägt Heribert vor, noch zum Fotoautomat zu gehen. Für zwei Euro bekommt man vier schöne Schwarzweißbilder. Von diesen Fotoautomaten stehen einige in Berlin. Sie sind beliebt bei Touristen. Ein Automat steht nur ein paar hundert Meter von unserer Haustür entfernt. Wir sind fleißige Nutzer. Es gibt schon mehrere Fotostreifen von uns, die unseren Kühlschrank zieren. Wir schicken auch regelmäßig unseren Besuch in den Automaten, um auch Fotostreifen von Familie und Freunden aufzuhängen. Wir haben bereits eine schöne Sammlung. Als der Platz am Kühlschrank für all die Fotos nicht mehr ausreichte, haben wir begonnen, alle neuen Fotostreifen an die Spülmaschine zu pinnen. Auf den meisten Bildern lachen unsere Freunde fröhlich, sie küssen sich oder sie ziehen lustige Grimassen. Ich überlege kurz, dann stimme ich zu.
Heribert setzt sich auf den Drehhocker, ich setze mich auf seinen Schoß. Ich werfe eine 2-Euro-Münze in den Schlitz, wir grinsen in die Kamera, es blitzt zum ersten Mal. Ich drehe mich zu Heribert.
»Was nun?«, frage ich. Traditionell verändern wir unsere Position oder zumindest unseren Gesichtsausdruck für jedes neue Bild. Plötzlich reicht Heribert mir ein kleines Geschenk. »Was ist das?«, frage ich überrascht. In dem Moment blitzt es zum zweiten Mal.
»Mach es auf«, fordert Heribert. Ich ziehe ungeschickt am Schleifenband. Wieder blitzt es.
»Ich bin zu langsam, was soll ich tun?«, frage ich aufgeregt.
»Einfach lächeln«, rät er mir.
Also lächle ich in die Kamera. Es blitzt zum vierten Mal. Jetzt ist Schluss. Das kleine, quadratische Päckchen halte ich noch immer in meiner Hand. Langsam beginne ich, es zu öffnen. Erst löse ich das weiße Schleifenband, dann das braune Seidenpapier. Zum Vorschein kommt ein kleines braunes Schmuckkästchen. Ich atme tief durch. Ist es das, was ich denke? Meine Hände zittern. Ganz langsam öffne ich den Deckel. Tatsächlich: Im Inneren des Schmuckkästchens liegt auf einem Samtkissen gebettet ein Ring. Er ist weißgold und ganz schlicht. In der Mitte hat er einen kleinen Stein. Er gefällt mir gut. Ich sehe auf den Ring, dann zu Heribert, dann wieder auf den Ring. Ich kann es nicht glauben.
»Nancy, willst du mich heiraten?«, fragt Heribert. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. So lange habe ich auf diese Frage gewartet. Jetzt ist es so weit. Aber es fühlt sich irgendwie nicht real an. Nach einer kurzen Pause sage ich »Ja«. Dann laufen mir dicke Tränen über das Gesicht.
Ich sitze noch immer auf Heriberts Schoß. Langsam drehe ich mich zu ihm um und küsse ihn. »Ja, ich möchte dich heiraten«, sage ich leise und umarme ihn. »Ich dachte schon, du würdest mich nie fragen.«
»Ich wusste doch, dass du nur noch darauf gewartet hast, deshalb wollte ich dich auch nicht schick zum Essen ausführen. Dann wäre es doch keine Überraschung mehr gewesen. Und außerdem musste ich doch vorher noch deine Eltern fragen.«
»Du hast meine Eltern gefragt?«
»Ja, gestern Abend nach der Geburtstagsfeier.«
»Davon habe ich gar nichts mitbekommen«, sage ich überrascht und überlege, wann das gewesen sein könnte. Wir waren doch die ganze Zeit zusammen. Dann fällt mir noch eine andere Frage ein. »Und warum ausgerechnet im Fotoautomaten?«, will ich wissen.
»Na, weil du doch immer von allen wichtigen Dingen in deinem Leben Fotos willst.«
»Ja, das stimmt«, sage ich und muss lachen. Ich stecke mir den Ring an. Er passt. Ich bin beeindruckt. Ich trage sonst keine Ringe. Heribert konnte meine Größe also gar nicht wissen. Er hat gut geschätzt.
Als wir aufstehen, ist unser Fotostreifen bereits entwickelt. Die Fotos sehen lustig aus. Besonders über mein verdutztes Gesicht müssen wir lachen.
»Heribert, wirst du pünktlich sein zu unserer Hochzeit?«, frage ich leise.
»Kam ich jemals zu spät?«, fragt er zurück und lacht.
Dann küssen wir uns noch einmal. Es ist der schönste Kuss, den ich je bekommen habe.
Über Nancy Krahlisch
Nancy Krahlisch, geboren 1979 im Süden Brandenburgs, studierte Journalistik in Bremen und Stoke-on-Trent/England. Während ihrer Ausbildung arbeitete sie unter anderem für das ZDF und den Stern. Seit 2003 wohnt sie in Berlin und ist Redakteurin
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