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Die Springflut: Roman (German Edition)

Die Springflut: Roman (German Edition)

Titel: Die Springflut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cilla Börjlind , Rolf Börjlind
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SPÄTSOMMER 1987
    D er Unterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt an der seichten, Hasslevikarna genannten Bucht auf der Insel Nordkoster vor der schwedischen Westküste fünf bis zehn Zentimeter, außer bei einer Springflut, zu der es kommt, wenn Sonne, Mond und Erde sich auf einer Geraden befinden. Dann beträgt der Unterschied fast einen halben Meter. Der Kopf eines Menschen ist ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter hoch.
    In dieser Nacht würde es eine Springflut geben.
    Vorerst war jedoch noch Ebbe.
    Der Vollmond hatte das Meer viele Stunden zuvor zurückgesogen und eine weite Fläche feuchten Schlicks entblößt. Kleine, glänzende Strandkrabben liefen in dem stahlblauen Licht wie schimmernde Lichtreflexe kreuz und quer über den Grund. Schnecken saugten sich noch fester an die Steine und harrten aus. All diese Lebewesen wussten, dass sie das Meer schon bald wieder überspülen würde.
    Auch den drei Gestalten am Ufer war das bekannt. Sie wussten sogar, wann das geschehen würde: in einer Viertelstunde. Dann würden die ersten sanften Wellen heranrollen und befeuchten, was getrocknet war, und kurz darauf würde der Druck der dunklen Tiefen Welle für Welle hochpressen, bis die Springflut ihren Höchststand erreicht hatte.
    Noch blieb ihnen jedoch etwas Zeit. Die Grube, die sie ausgehoben hatten, war fast fertig. Sie war gut einen Meter fünfzig tief und hatte einen Durchmesser von sechzig Zentimetern. Der Körper würde perfekt umschlossen werden, nur der Kopf über den Rand hinausragen.
    Der Kopf der vierten Gestalt.
    Der Frau, die mit gefesselten Händen und schweigend ein wenig abseits stand.
    Ihre langen, dunklen Haare bewegten sich sanft in der leichten Brise, ihr nackter Körper glänzte, ihr Gesicht war ungeschminkt und schutzlos. Nur ihre Augen enthüllten eine eigentümliche Abwesenheit. Sie beobachtete das Ausheben der Grube. Der Mann mit dem Spaten zog das leicht gekrümmte Blatt aus dem Loch, kippte den Schlick auf den Haufen daneben und wandte sich um.
    Er war fertig.
    Aus der Ferne betrachtet, von den Felsen aus, hinter denen sich der Junge versteckt hatte, lag eine seltsame Stille über dem mondbeschienenen Ufer. Er sah dunkle Gestalten auf der anderen Seite der Bucht. Was taten sie da? Er wusste es nicht, hörte aber das stärker werdende Rauschen des Meeres und beobachtete, wie die nackte Frau scheinbar widerstandslos über den nassen Schlick geführt und in die Grube gehoben wurde.
    Er biss sich auf die Unterlippe.
    Einer der Männer schaufelte feuchten Schlick hinab, der sich wie nasser Zement um den Körper der Frau legte. Schnell war das Loch gefüllt. Als die ersten, tastenden Wellen kamen, lugte nur noch ihr Kopf heraus. Ihre langen Haare wurden immer nasser, eine kleine Krabbe blieb in einer dunklen Strähne hängen. Der Blick der Frau war auf den Mond gerichtet.
    Die Gestalten zogen sich zwischen die Dünen zurück. Zwei von ihnen waren nervös, unsicher, die dritte dagegen war ruhig. Alle betrachteten den einsamen, mondbeschienenen Kopf auf dem Meeresgrund.
    Und warteten.
    Als die Springflut dann auflief, kam sie schnell. Mit jeder neuen Welle stieg das Wasser, überspülte den Kopf der Frau und floss ihr in Mund und Nase, so dass sich ihre Kehle mit Wasser füllte. Als sie sich wegdrehen wollte, schlug ihr eine neue Woge ins Gesicht.
    Eine der Gestalten trat zu ihr und ging in die Hocke. Ihre Blicke begegneten sich.
    Von seinem Standort aus beobachtete der Junge, wie das Wasser stieg. Der Kopf auf dem Grund verschwand, tauchte wieder auf und verschwand erneut. Zwei der Gestalten waren inzwischen verschwunden, die dritte bewegte sich aufs Ufer hinauf. Plötzlich hörte er einen furchtbaren Schrei. Es war die Frau in der Grube, die so besinnungslos schrie. Ihr Ruf hallte über die seichte Bucht hinweg und traf den Fels des Jungen, bevor die nächste Welle über ihren Kopf hinwegrollte und ihr Schrei verstummte.
    Im selben Moment lief der Junge los.
    Und das Meer stieg und kam dunkel und glänzend zur Ruhe, und unter seiner Oberfläche schloss die Frau ihre Augen. Das Letzte, was sie spürte, war ein leichter, sanfter Tritt von innen gegen ihre Bauchdecke.

SOMMER 2011
    D ie sture Vera hatte zwei gesunde Augen und einen vernichtenden Blick. Sie sah ausgezeichnet, diskutierte jedoch im Stile eines Schneepflugs. Sie startete mit einer eigenen Meinung und pflügte sich so durch, bis die Gegenargumente in alle Richtungen davonstoben.
    Auf einem Auge blind, aber beliebt.
    Im Moment stand sie

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