Segel aus Stein
Fenster.
»Woran denkst du?«, fragte Winter.
»Immer noch daran, was in Fort Augustus passiert ist«, sagte sie. »Zwischen Vater und Sohn.«
»Mhm.«
»Hast du eine Theorie?«
Winter richtete sich auf. Er roch jetzt den Fluss von dort draußen. Der Sommer verzog sich für die Nacht.
»Ich glaube, dass Axel Osvald sein Leben lang von seinem Vater geträumt hat. Das ist ja nur natürlich. Die Umstände waren ja auch so dramatisch. Und diese Sehnsucht nach dem Verlorenen, in die er sich hineinsteigerte.« Er drehte sich zu Angela um. »Ich glaube, wir werden jetzt viel mehr über ihn erfahren, durch Erik und durch Johanna. Jetzt wissen wir, wonach wir fragen müssen. Warum wir fragen müssen.«
»Aber der Vater, John, hat er sich gemeldet?«
»Das muss er ja, jedenfalls als Axel hier war«, sagte Winter. »Und er hat es ja auch indirekt getan, durch Erik Osvald.«
»Und er hat seine Tochter anrufen lassen?«
»Ja.«
»Wusste er, was . passieren würde?« »Als sie sich getroffen haben, meinst du?« »Ja.«
»Er kannte seinen Sohn nicht«, sagte Winter. »Wie meinst du das?«
»Er kannte ihn nicht. Er wusste nicht, wie Axel war. Er konnte nicht ahnen, dass es da vielleicht eine ungeheure Leidenschaft gab ... vielleicht eine Besessenheit.«
Winter wechselte wieder die Haltung und setzte sich auf die Bettkante. »Verstehst du? Etwas konnte explodieren. Etwas konnte sehr leicht explodieren. Dass der Alte ihm seine Kleider abgenommen hat, hing mit seinem starken christlichen Glauben zusammen, seinem eigenen starken Glauben. Es ging um . Läuterung, irgend so was. Axel wanderte in die Berge und betete und legte ein Kleidungsstück nach dem anderen ab. Ein reinigendes . Bad. Am Strand sagte John Osvald, dass der Sohn seine ... Sünden abgewaschen hat. Er konnte es wohl nicht selber tun.«
»Glaubst du, der Vater hat es Axel erzählt?« »Was erzählt?«
»Was er . getan hat. Was damals draußen auf dem Meer passiert ist?« Sie strich sich die Haare aus der Schläfe. »Worin seine Schuld eigentlich bestand. Wie groß sein Verbrechen war?«
»Ja«, sagte Winter, »das glaube ich. Ich glaube, er hat es erzählt. Und es endete in einer Katastrophe.«
»Hat Axel Osvald eigentlich Selbstmord begangen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Winter. »Aber ich glaube es. Selbstmord. Ja. Sich nackt dort hinzulegen, das war Selbstmord.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Aber es war gewissermaßen auch ... Mord.« Er nahm die Hand vom Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Werdet ihr es je erfahren?«
»Wie sollen wir es erfahren?«, fragte Winter.
»Durch John Osvald«, sagte Angela.
»Vielleicht.« Aber er glaubte nicht daran. Ein »Vielleicht« klang nur hoffnungsvoller als ein »Nein«. Im Augenblick wusste er auch gar nicht, ob er es wissen wollte.
Später dachte er wieder ans Meer. An ein anderes Meer, einen anderen Strand. Der Strand lag auf der anderen Seite der Nordsee auf dem gleichen Breitengrad wie diese Stadt und diese uralte Landschaft.
Vorsichtig schob er Angelas Arm von seiner Brust und glitt aus dem Bett. Angela schnarchte, aber nur ganz schwach, ein Überbleibsel aus ihrer Polypen-Zeit.
Er schenkte sich noch einen Whisky ein und stellte sich ans geschlossene Fenster. Er zog es einen Spaltbreit auf. Die Luft war immer noch frisch, aber jetzt kalt. Es roch nach Wasser. Er sah das Meer und den anderen Strand vor seinem inneren Auge. Er sah sich, Angela, Elsa und noch jemanden, den er noch nicht kannte, einen kleinen Menschen. Alle gruben im Sand und dann in der weichen Erde auf dem Grundstück oberhalb des Strandes. Er hatte Erde am Spaten. Er schob eine Schubkarre voller Sand. Er legte Steinplatten. Er schlug mit einem Hammer gegen eine Wand.
Das war ein neuer Abschnitt Leben.
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