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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Richtung auf Ergez’ Villa davon.
    Er musste an der Gasse vorbei, wo Kestrel sich seine Arbeitskollegen vorgenommen hatte, doch Arbeiter wie Polizisten waren längst verschwunden. Überhaupt befanden sich nur wenige Menschen noch auf den Straßen. Zwei Männer eilten auf ihren Posten an den Triebwerken des Habitats. Die anderen Rigger waren trotz der Gefahr wahrscheinlich oben in den Seilen; hoffentlich hatten sie Zeit gehabt, sich Flügel anzuschnallen, für den Fall, dass sie vom Sturm davongetragen würden.
    Die Geheimpolizisten hatten sich wohl irgendwo in Sicherheit gebracht. In einem Notfall wie diesem konnten sie mit ihren Fähigkeiten nichts ausrichten.
    Er musste fast eine Minute lang an Ergez’ Tür hämmern, bis jemand kam; das Tosen des Sturms war zu laut. Endlich wurde die Pforte knarrend einen Spalt breit geöffnet, und Maritins verängstigtes Gesicht lugte heraus. Der Mann winkte hektisch. »Schnell, schnell!« Chaison trat ein, und Maritin schlug die Tür hinter ihm zu und verriegelte sie.
    Â»Es ist eine Katastrophe!« Der Masseur lief händeringend davon und überließ es Chaison, sich allein durch das Halbdunkel bis zum Innenhof vorzutasten. Dabei war es nicht gerade hilfreich, dass die Schwerkraft stark
schwankte: Sein Gewicht stieg und sank in Wellen von dreißig Sekunden Länge, und der regennasse Boden zitterte und schaukelte unter dem Druck der auftreffenden Wassermassen.
    Chaison hatte schon öfter Stürme erlebt, aber einen wie diesen noch nie. In Rush, wo er seine Kindheit verbracht hatte, waren sie ohnehin nicht zu spüren gewesen, dort waren die Habitaträder riesige Eisenkolosse, die sich allenfalls durch die Wucht eines Ozeans erschüttern ließen.
    Â»So viel Wasser kann es doch im ganzen Land nicht geben!« Die Stimme war von rechts gekommen; als Chaison in diese Richtung spähte, entdeckte er einen kleinen Lichtkreis. Auf einem Tisch, der von Korbsesseln umgeben war, standen mehrere Öllampen. Er ging hinüber. In einem der Sessel saß Ergez, in den anderen Darius, Richard und Antaea. Zwischen den Lampen stand ein würfelförmiger Tank gefüllt mit klarer Gelatine, in der scheinbar willkürlich kleine Perlen verteilt waren. Das musste eine Karte von Songly und Umgebung sein. Ergez beugte sich unter Schmerzen vor und zeigte auf eine Seite des Tanks.
    Â»Es kommt von den Gretel.« Er schaute auf und erkannte Chaison. »Admiral! Haben Sie das gehört? Ein Schiff ist unmittelbar vor dem Eintreffen dieses Unwetters in den Hafen an der Achse gehumpelt.« Er deutete mit dem Daumen nach oben. »Es war ihm zwölf Stunden lang davongeflogen. Die Leute sagten, es sei wie ein Riesenhammer auf sie niedergesaust.«
    Â»Von den Gretel.«
    Â»Von unserem Nachbarn und Feind, jawohl. Ist das nicht komisch?«

    Unter ihren Füßen zitterte der Boden. Chaison musste lächeln. »Ich bewundere Ihre Gelassenheit, Hugo. Ich glaube nicht, dass Ihre Angestellten das alles ›komisch‹ finden würden.«
    Â»Es kann nicht die ganze Grenze betroffen sein«, murmelte Ergez, ohne auf Chaisons Bemerkung einzugehen. »So viel Wasser gibt es in der ganzen Region nicht. Wobei die Gretel natürlich zwei kleinere Meere haben … Es muss ein Strahl sein, lang, aber schmal. Woher er allerdings kommt …«
    Â»Das wird der Heimatschutz herausfinden«, erklärte Antaea zuversichtlich. »Bis dahin warten wir einfach ab und hoffen, dass das Habitat nicht auseinanderfällt. «
    Â»Wir sollten aber auf alles gefasst sein«, mahnte Chaison. »Packt eure Sachen und haltet sie griffbereit«, wandte er sich an Darius und Richard, »es könnte sein, dass wir das Rad verlassen müssen.«
    Ergez schüttelte den Kopf. »Ach, so schnell geht das nicht …« In diesem Augenblick schwankte der Boden von neuem, und er verstummte.
    Chaison fühlte sich entschieden leichter; vermutlich hatte der Schwerkrafttrupp die Düsen des Habitats nach rückwärts ausgerichtet, um die Rotation des Rades zu verlangsamen. Das war Songlys zweite Verteidigungsmaßnahme gegen derart schweres Wetter. Als Erstes wurde das Rad so gedreht, dass es mit der Schmalseite durch das Wasser schnitt. Wenn beides nichts fruchtete, konnte man das Habitat vollends zum Stillstand bringen. Dann wehte es wie ein loses Band – ein Halstuch mit Häusern daran – im Wind. Aber die

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