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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Schwäche seine Entschlossenheit zu stärken – der Junge lag ihm ja wirklich am Herzen. Aber letztlich war es die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Venera gewesen, was ihn angetrieben hatte.
    Wenn er diese Chance ein für allemal verloren geben musste, war er bereits tot. Wenn er sterben musste, ohne sie noch einmal gesehen zu haben, spielte es keine Rolle, wie weh sie ihm taten; tatsächlich hatte er den Schmerz in seiner schockierenden Unmittelbarkeit fast freudig begrüßt. Er war jetzt das Greifbarste in seinem
Leben, und solange er anhielt, hatte er etwas, wogegen er kämpfen, was er fürchten, und was ihm in Erinnerung rufen konnte, dass er einmal gelebt hatte.
    Dieses Wissen machte ihn unverwundbar, und so sah er Telen Argyre lächelnd in die Augen.
    Jemand stürmte in den Raum. »Erik schwört, er hätte sie in den Kasten gehen sehen. Sie muss sich in die Schatten geflüchtet haben. Jedenfalls ist sie entkommen.«
    Gonlin fluchte. »Sie ist nicht entkommen. Sie ist bei dem Schwärmer.«
    Chaison konnte mittlerweile wieder so gut sehen, dass er die nackte Angst in Eriks Zügen erkannte, als das als Baum getarnte Monster erwähnt wurde. Der Mann schob sich mit weit aufgerissenen Augen auf die Tür zu. »Hinaus mit dir!«, schrie ihn Gonlin an.
    Dann wandte sich der Anführer an Telen Argyre. »Kann sein, dass uns hier die Zeit davonläuft«, sagte er. »Das war nicht so geplant.« Es klang geradezu flehentlich.
    Telen zog sich zu Chaison hinüber und setzte ihre leidenschaftslose Analyse seines Zustandes fort. »Er reagiert nicht auf Schmerz«, erklärte sie. »Ich werde etwas anderes versuchen.« Sie hob die Hand.
    Im schwachen Schein der Laterne schienen ihr Spinnenfäden aus den Fingern zu sprießen. Gonlin schien ebenso erschrocken wie Chaison, als die Hand plötzlich hinter einem fahlgrauen Schleier verschwand.
    Â»Das … funktioniert hier?«, fragte Gonlin in ehrfürchtigem Ton.
    Â»Der Asteroid schirmt mich gegen Candesces Einfluss ab«, antwortete Argyre. »Das habe ich euch doch gesagt.«

    Â»Ja, sicher, aber mir war nicht klar …« Gonlin schluckte, als Argyre sich vorbeugte und Chaison die Hand auf den Kopf legte. Er spürte den Druck nur für einen Moment, dann breitete sich eine tiefe Kälte in seinem Schädel aus, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen. Alle Schmerzen waren wie weggeblasen, und er blinzelte überrascht.
    Argyre legte den Kopf schief und brachte ihr Gesicht ganz nahe an das seine. »Die Monofilamente sind durch Ihre Haut und Ihre Knochen gedrungen und schalten jetzt Ihre Schmerzreaktionen aus«, erklärte sie. »Die Filamente werden sich an Ihre Neuronen ankoppeln und die emergente Sprache Ihres Gehirns erlernen. Dazu müssen sie für eine Weile Teil Ihres Systems werden. In den nächsten Minuten werden Sie und ich keine getrennten kognitiven Entitäten mehr sein.«
    Gonlin räusperte sich. »Ich glaube nicht, dass deine Schwes…, dass Antaea Argyre den Schwärmer überreden kann, hier einzubrechen. Aber wenn sie sich nun an die Behörden wendet? Wenn sie ihnen sagt, dass wir den Admiral haben, nach dem alle suchen?«
    Telen Argyre musterte ihn kühl. »Es dauert nur eine Minute. Wenn ich fertig bin, übergeben wir den Admiral an den Piloten von Slipstream.«
    Â»Aha«, machte Gonlin. »Und der Schwärmer …?«
    Â»Er wird uns verfolgen«, antwortete Argyre. »Wir werden die Bewohner der Stadt als lebende Schutzschilde benützen.«
    Gonlin schien von dieser Vorstellung alles andere als begeistert zu sein, aber Argyre hatte sich bereits wieder Chaison zugewandt. »Nun denn«, sagte sie.

    Chaison räusperte sich. »Erschrecken Sie nicht«, sagte er.
    Das war sonderbar. Warum hatte er gesprochen?
    Â»Die meisten finden es beängstigend«, hörte er sich weitersprechen, »wenn ihnen die Illusion einer individuellen Identität genommen wird.« Gonlin starrte ihn entsetzt an. Chaison spürte abermals, wie sich seine Lippen bewegten, und hörte seine eigene Stimme durch seinen Körper hallen. »Diese Angst ist eine Nebenwirkung des Verfahrens. Wir brauchen sie nicht wirklich, denn die Emotionen des Subjekts spielen keine Rolle mehr.«
    Jetzt erkannte Chaison die entsetzliche Wahrheit.
    Und verfiel in Panik.
    Â 
    Vor ihnen ragten ein schwarzer Halbbogen und eine

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