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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Natur war entstanden.
    Â»Aber was …« Chaison hörte sich selbst wie aus weiter Ferne. »Was hat das alles mit uns zu tun?«
    Telen Argyres Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem seinen entfernt. Jetzt begriff er. Dieses Ding in Frauengestalt war eine Edison-KI. Es hatte überhaupt kein Bewusstsein; stattdessen erkundete es die Verzweigungen von Wahrscheinlichkeitsbäumen, führte parallel Tausende von Simulationen seiner Umgebung durch
und ließ nur die geeignetsten zu Plänen, Handlungen oder Worten werden.
    Jetzt ruhten die Augen dieses Dings auf ihm. »Wegas Mächte können nicht mehr direkt miteinander sprechen«, hörte er es sagen. »Sie sind einander zu fremd geworden. Was immer wächst, was immer willensfähig ist, hat nun die Macht eines Gottes.
    Dennoch muss in irgendeiner Form eine Übereinkunft erzielt werden. Deshalb haben wir einen Ort geschaffen, wo unsere Kräfte gefahrlos ihre Auseinandersetzungen führen können. Einen Mikrokosmos, eine Arena, wenn Sie so wollen, am äußersten Rand des Wega-Systems. Dort können wir Druck und Zug ausüben, wir können reden, wo reden möglich ist, und allmählich … dazu kommen, unsere Aktionen zu koordinieren. «
    Er schüttelte den Kopf. »Aber was hat das … Oder sprechen Sie etwa von Virga?«
    Sie legte den Kopf schief. »Nicht von Virga. Ich spreche von einer Arena, die ungeheuer viel größer ist. Virga ist nur ein Teil davon. «
    Â»Ich verstehe nicht …« Aber ein wenig verstand er durchaus … Zumindest hatte er Erinnerungsblitze, die so etwas wie einen Sinn ergaben. Es waren sicherlich nicht seine eigenen Erinnerungen, diese Bilder von riesigen geschwungenen schwarzen Silhouetten, die zu Dutzenden die Sterne verdeckten und sich in unvorstellbaren Weiten verloren. Oder das Gefühl, wie ein Fisch in einem riesigen Schwarm durch Energiekanäle zwischen buschähnlichen Bauwerken dahinzugleiten, die wie mitternächtliche Städte funkelten, aber eher gewachsen als gebaut zu sein schienen. Chaison – oder
Telen – erinnerte sich, wie die vielen Spezies im Umkreis von Wega lernten, miteinander zu kooperieren, und wie sich im Dunkeln komplexe Spiele entwickelten. Hier draußen am Rand des Sternensystems sondierte jeder in sicherer Entfernung die Schwächen des anderen, brachte dessen Wünsche und Ziele in Erfahrung, und mit der Zeit kam es zu einem Entspannungsprozess, einem Pakt oder einer Pattsituation, die es dem System gestatteten, auf seinem Weg weiter fortzuschreiten. Für einen Menschen sah der Ort, den Argyre als Arena bezeichnet hatte, wie ein riesiges Bauprojekt aus – und eine der Bauten im Zentrum war Virga.
    Â»Die Zivilisationen und Machtblöcke, die um Wega kreisen, bilden ein Ökosystem – aber dieses Ökosystem ist unvollendet «, sagte Telen Argyre, »es wird von Krankheiten und Artensterben beherrscht. Der Fortschritt in der Versuchsarena ist zum Stillstand gekommen. Candesce, eine der Großmächte, verweigert die Kooperation schon seit Jahrhunderten. Jetzt ist das ganze Projekt in Gefahr.
    Ich habe Ihnen dies alles gezeigt, weil ich nicht Ihr Feind bin«, fuhr Telen Argyre fort. »Meine Fraktion will Ihnen und Ihresgleichen nicht schaden. Wir wollen nur uns selbst retten, und dabei steht uns Candesce im Weg.
    Ich habe Ihnen meine Geheimnisse enthüllt. Jetzt ist es an Ihnen, sich erkenntlich zu zeigen.«
    Chaison wappnete sich für einen monumentalen mentalen Kampf mit diesem schamlosen Eindringling. Doch es geschah nichts anderes, als dass er sich ohne sein Zutun an gewisse Dinge erinnerte: nächtliche Gespräche mit Venera über die Legende von Anetene und
die Schlüssel zu Candesce; an die Planung der Expedition; an den Besuch in der Touristenstation auf der Suche nach der Karte zu Anetenes Schatz. All das huschte rasch und mühelos durch sein Denken. Venera hielt den Schlüssel ins Licht. Venera verließ Chaisons Flaggschiff, um mit Hayden Griffin und Aubri Mahallan nach Candesce zu fliegen.
    Verzweifelt versuchte er, an etwas anderes zu denken – egal woran, nur nicht an sie –, aber das war unmöglich. Er sah immer nur Venera mit dem Schlüssel in den Händen.
    Â»Aha«, sagte Argyre. »Ich danke Ihnen. Das ist alles, was ich wissen wollte.«
    Â 
    Sie hatten sie fast eingeholt. Antaea war von einer Schatteninsel zur anderen gesprungen und hatte

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