Segel der Zeit
Defensive zurückdrängen, und so sprang sie rasch auf, stellte sich dicht vor ihn hin und stemmte die Hände in die Hüften. »Das Gleiche könnte ich dich fragen, Admiral Fanning. Warum riskierst du dein Leben für diese Menschen? Und komm mir nicht mit diesem hochtrabenden Geschwätz von Verantwortung. Daran glaubst du ebenso wenig wie ich.
Es hat mit Angst zu tun, nicht wahr? Damit, dass du Angst hast, nach Hause zurückzukehren.«
Er protestierte empört und wollte aufspringen. Antaea sah, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. »Du hast Angst, dass du kein Zuhause mehr hast. Kein Haus, keine Stellung, keine Frau â¦Â«
Jetzt war Chaison auf den Beinen und ging so dicht an sie heran, dass er mit seiner Nase fast die ihre berührte. Er hatte die Fäuste geballt. Sie konnte ihn riechen, spürte die Hitze, die sein Körper ausstrahlte. Und plötzlich wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte.
Ein paar Sekunden zu lange standen sie sich so gegenüber. Keiner sprach ein Wort. Als er sich endlich bewegte,
bekam sie es kurz mit der Angst zu tun â doch er setzte sich nur wieder hin und wandte den Blick ab.
Verärgert nahm auch sie Platz. Das peinliche Schweigen zog sich in die Länge; es musste irgendwie gebrochen werden, deshalb fragte sie: »Hast du hinausgeschaut? Tausende von diesen Menschen â den Menschen hinter den Fenstern, die du dort siehst â werden sterben .« Sie wollte die Debatte nicht fortsetzen, aber etwas anderes fiel ihr nicht ein. »Und warum?«, fuhr sie fort. »Ja, gewiss, weil die Gretel die Stadt überfallen werden, aber das ist nur die oberflächliche Begründung. In Wirklichkeit müssen diese Menschen sterben, weil sie nicht Herr über ihr eigenes Schicksal sind. Dabei könnten sie es sein. Sie könnten es durchaus!«
Er sah sie abermals an â und, zur Hölle mit ihm, war das ein Lächeln? »Ja, ich will den verdammten Schlüssel zu Candesce!«, rief Antaea verzweifelt. »Der Heimatschutz will ihn auch, aber die wollen ihn nur wegschlieÃen, bis der Tag X kommt. Sie haben Angst vor seiner Macht. Ich will diese Macht dem Volk geben. Damit es sich selbst retten kann.«
Sie war ohne ersichtlichen Grund knallrot geworden. Frustriert hob sie die Hand, stand auf und ging steifbeinig auf das kleine Schlafzimmer zu. »Warum rede ich überhaupt mit dir? Du willst doch gar nicht, dass sich etwas ändert. Du bist schlieÃlich Aristokrat!«
Er war sofort auf den Beinen und packte sie mit einer Hand am Oberarm. »Ich bin nicht freiwillig hier«, zischte er, »aber ich habe nicht den Luxus, frei wählen zu können, Antaea. Alle Entscheidungen über mein Leben wurden bereits am Tag meiner Geburt getroffen. Welche Jungen meine Freunde wurden, wo ich zur Schule
gehen sollte. Mit wem ich sprechen durfte, wen ich zu ignorieren hatte. Was ich werden sollte. Sogar die Entscheidung, gegen den Befehl des Piloten zu verstoÃen, musste von auÃen an mich herangetragen werden. Nur ein einziges Mal handelte ich aus eigenem Antrieb â ganz und gar selbstständig â, und das war, als ich heiratete â¦Â«
Er lieà ihren Arm los.
Dann trat er zurück. Verwirrung stand in seinem Gesicht.
Antaea begriff, dass dies ihre einzige Chance war. Ihre Ãberredungskünste hatten versagt. Er hatte sogar den Folterern standgehalten. Nun konnte sie ihn nur noch verführen, und das spukte ihr ohnehin im Kopf herum, seit sie ihm begegnet war. Also nahm sie all ihren Mut zusammen, trat zu ihm und wollte ihm die Lippen entgegenhalten â doch dann sah sie sein Gesicht.
Sein Ausdruck war der eines Menschen, der sich mit seiner Niederlage abgefunden hat. Unendliche Geduld las sie in seinen Zügen â hier stand ein Mensch, der sich längst in seine Rolle im Leben gefügt hatte. Sie hatte den Eindruck, er wisse, was jetzt kam, und hatte lange bevor sie sprechen oder handeln konnte, jeden ihrer Züge wie auf einem Schachbrett vorausgeplant. Er wusste, was sie vorhatte, und er glaubte zu wissen, warum sie sich so verhielt. Wenn er darauf einging, wäre es nur ein Gegenzug in einem Spiel, das ihm ganz offensichtlich keine Freude machte.
»Scheià drauf«, stieà sie hervor und trat zurück. »Hör zu, Chaison, es ist schon spät, und wir sind beide erschöpft â¦Â«
Er sah sie mit groÃen Augen an.
»Ich wollte das Bett für mich
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