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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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freie Fleck an der Wand war mit Fotos bepflastert, und davon waren viele mit Kommentaren in roter Schrift oder mit bunt gefiederten Pfeilen versehen. Die Angehörigen von Corbus’ neuem Verteidigungsstab trudelten langsam, zumeist mit untergeschlagenen Beinen, durch die Luft und kritzelten dabei wie wild auf ihre Schreibbretter.
    Corbus selbst saß auf einem viel zu kleinen Metallstuhl, der über der schwebenden Landkarte angebracht war. Antaea hatte inzwischen mehr über ihn in Erfahrung gebracht, und nicht alles sprach zu seinen Gunsten. Er war schon seit Jahren so etwas wie ein Gespenst im Zirkus, obwohl er den Status eines Stars hatte. Die anderen Künstler sahen ihn nur bei seinen Auftritten; dazwischen verkroch er sich in seiner kleinen Garderobe, deren Wände, Decke und Fußboden aus Büchern bestanden. Wenn er mit jemandem sprach, war er makellos höflich, aber so übertrieben wortkarg, als zweifle er daran, überhaupt sprechen zu dürfen.

    Jetzt war davon nichts zu merken. »Wir brauchen sechzehn von denen, nicht acht!«, brüllte er einen älteren Mann an, der ihm etwas gezeigt hatte. »Mein Gott, das war eine ganz einfache Bitte. Wie soll denn hier überhaupt etwas vorangehen?« Er schaute auf und entdeckte Chaison und Antaea. »Admiral, wie sieht es da draußen aus?«
    Â»Gut«, antwortete Chaison. »Die Teile fügen sich zusammen. «
    Â»Sie fallen auseinander, wollten Sie doch wohl sagen.« Corbus runzelte ausdrucksvoll die Stirn und wandte sich an Antaea. »Unsere Verbündete vom Heimatschutz. Sie haben hoffentlich gut geschlafen, während unser Piratenadmiral um Sie herum die Stadt demontiert hat?«
    Sie lächelte. »Pirat?«
    Â»Oh, haben Sie das noch nicht gehört?« Er zögerte – für einen Moment kam etwas von dem zurückhaltenden, scheuen Mann zum Vorschein, den man ihr beschrieben hatte. Dann fuhr er rasch fort: »Der Bursche hat ein Land erobert! Sein Volk hat Aerie besetzt, jetzt plündern sie es, und wenn sie damit fertig sind, werden sie es liegen lassen wie eine angebissene Frucht. Slipstream ist eine Piratennation, und er ist der Oberpirat!« Er grinste Chaison an wie ein Wolf. »Deshalb bin ich froh, ihn auf unserer Seite zu haben.«
    Chaison setzte schon zum Widerspruch an, doch Antaea unterbrach: »Ich bin sicher, die Stadt braucht jemanden wie ihn. Aber wie ist es mit Ihnen – haben Sie überhaupt geschlafen?«
    Â»Ich?« Corbus schien überrascht. »Ich … kann mich nicht erinnern. Glaube nicht.« Dann schien er vor ihren
Augen in sich zusammenzufallen, als hätte er auf einen Schlag fünfzig Kilo verloren. Er kniff die Lider zusammen und rieb sich die Augen. »Es ist nicht leicht«, flüsterte er, »Stunde um Stunde so zu tun, als ob nichts wäre. Wie schaffen Sie das?« Sie begriff, dass die Frage an Chaison gerichtet war.
    Chaison runzelte die Stirn. »Ich delegiere.«
    Corbus lachte rau. »Ja, nun, wie Sie sehen, habe ich dazu nicht viel Gelegenheit.« Er stieß einen Seufzer aus. »Ich komme mir vor wie ein Gefangener, ich kann nicht einmal auf den Lokus gehen, ohne dass jemand an die Tür klopft. Die Menschen haben mich auf diesen Posten gestellt, und ich werde den Teufel tun und sie enttäuschen, aber es ist nicht leicht.
    Was mich zu Ihren Plänen bringt, in Neverlands Vororten Brände zu legen.« Er hielt Chaison vorwurfsvoll ein Blatt Papier vor die Nase.
    Â»Ich muss alle Szenarien durchspielen«, verteidigte sich der Admiral. »Ich würde diese Entscheidung nicht leichtfertig treffen …«
    Â»Genug!« Corbus breitete seine muskelstrotzenden Arme aus. »Mit harten Entscheidungen habe ich Erfahrung. Sehen Sie mich nur an. Ich habe einst Befehle bekommen und Befehle gegeben; danach bin ich weggelaufen und habe mich zwanzig Jahre lang vor aller Welt versteckt.« Er sah Chaison böse an. »Wissen Sie, Fanning, am liebsten würde ich ganz auf Sie verzichten. Leute wie Sie haben uns in diese Lage gebracht. Ich bin nicht undankbar für Ihre Hilfe, es ist nur … Das ist eigentlich nicht Ihr Kampf, nicht wahr?«
    Â»Mir ist es wichtig, die Menschen, die hier leben, in Sicherheit zu bringen«, erklärte Chaison. Es klang nicht
nach einer Entschuldigung, lediglich nach einer sachlichen Feststellung.
    Â»Das glaube ich Ihnen, aber Sie haben nicht gelernt, Menschen zu beschützen ,

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