Segel der Zeit
erledigen sollte â mehr als zehn Jahre war das jetzt her â, hatte er vor einem goldgeränderten Becken gestanden und sich Blutspritzer von Gesicht und Händen gewaschen. Am Becken daneben stand sein Reisegefährte und tat das Gleiche. Ringsum drang ein schwaches Raunen durch die Wände, denn im Palast von Hale herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
»Ich kriege den verdammten SchieÃpulvergeruch nicht aus den Haaren«, stöhnte Antonin Kestrel. Es war auch für ihn die erste Mission im Auftrag des Piloten. Die beiden Männer (sie waren noch blutjung!) sahen einander wehmütig an und schrubbten weiter.
Natürlich gab es keine Anhaltspunkte dafür, wer sie an jenem Nachmittag hatte töten lassen wollen. Fanning und Kestrel waren von ihrem amtlichen Führer in einer Gasse in einen Hinterhalt gelockt worden, und nur ihre Fechtkünste und das Eingreifen einer fremden Passantin hatten sie gerettet. (Er hatte damals noch nicht geahnt, dass Venera, diese fremde Passantin,
später seine Frau werden sollte.) Die örtlichen Behörden gaben sich empört und fackelten, so hatte er gehört, sicherheitshalber das ganze Viertel ab, in dem der Ãberfall stattgefunden hatte. In seiner Phantasie malte Chaison sich aus, wie jemand im Saal eines prunkvollen Palastes saÃ, den ganzen Plan ausheckte und zusätzlich dem paranoiden König von Hale die Zerstörung eines ungeliebten Häuserblocks zum Geschenk machte.
Sie setzten ihre Säuberungsaktion lange Zeit schweigend fort. Endlich sprach Chaison aus, was ihnen beiden auf der Seele lag. »Glaubst du, dass man uns hierhergeschickt hat, um uns beseitigen zu lassen?«
»Durch den König von Hale?« Kestrel musterte nachdenklich die zitronengelbe Tapete. »Oder im Auftrag unseres eigenen Piloten?«
»Ich sage das nur ungern«, bemerkte Chaison und verzog das Gesicht, »aber beides ist möglich â auch gleichzeitig.«
An Chaison Fannings roter Paradeuniform war nicht abzulesen, dass er aus einer Familie kam, die sich Hoffnungen auf Slipstreams Thron machen durfte. Aber vielleicht kam es darauf gar nicht an; die Wandernation, die er seine Heimat nannte, wurde mehr durch Gefahren von auÃen als durch innere Geschlossenheit zusammengehalten. Chaison vertrat die Admiralität â er war ihr strahlender junger Hoffnungsträger â, und die Macht der Admiralität war die gröÃte Sorge des Piloten. Kestrel kam aus dem Staatsdienst. Betrachtete der Pilot sie beide als künftige Bedrohungen? Er hatte behauptet, wenn er Chaison mit nur einem Begleiter nach Hale entsandte, würde der König das als Vertrauensbeweis
werten; aber dadurch waren sie, einmal dort eingetroffen, auch leichter zu töten.
Kestrel lieà von seinen Haaren ab. »Das Problem ist, mein Alter, dass wir unsere Rolle unter allen Umständen weiterspielen müssen. Auch wenn wir dadurch noch in andere Fallen tappen.«
Chaison hatte ungerührt genickt. Seine »Rolle« bestand in diesem Fall darin, dem paranoiden König dieser kleinen Hinterwäldlernation zu erklären, dass Slipstream nicht die Absicht hatte, die Flugbahn zweier Städte mit insgesamt einer halben Million Einwohner, die sich auf Kollisionskurs zu Hale befanden, zu verändern. Während die Luft sich innerhalb von Virga schnell bewegte, neigten massive Objekte wie Asteroiden, Seen und Städte dazu, majestätisch langsamen Umlaufbahnen um Candesce zu folgen und sich dabei von den Luftfontänen, die die groÃe Erste Sonne nach auÃen schickte, auf und ab tragen zu lassen. Im Gegensatz zu den meisten Nationen hatte Slipstream sein Schicksal â im wahrsten Sinne des Wortes â an einen Steinberg gekettet, der unbeirrt und ohne Rücksicht auf politische oder wirtschaftliche Interessen seinen eigenen Kurs um die Welt steuerte. Slipstream war im Begriff, an Hale entlang zu streifen. Die Reibung beim Vorbeiflug konnte minimal oder gewaltig sein. Diese Botschaft hatte Chaison dem griesgrämigen alten Mörder auf Hales wackeligem Thron zu überbringen.
Rückblickend lag es fast auf der Hand, dass der Tod des Boten für Slipstream wie für Hale das günstigste Ergebnis dieser Mission gewesen wäre. Im Nachhinein war ebenfalls klar, dass der Pilot von Slipstream vom bevorstehenden Angriff der Falken gewusst hatte
und aus irgendeinem Grund bereit gewesen war, ihn zuzulassen â womöglich
Weitere Kostenlose Bücher