Seherin von Kell
Moment, da sie dich erwählt, strecke die Hand aus und ergreife deine Bestimmung.«
Das war der letzte Wink. Nun erkannte Garion, welche Wahl sein Unterbewußtsein getroffen hatte, und weshalb sie so ganz und gar richtig war. Zögernd ging Geran zum Altar, blieb davor stehen und drehte sich mit ernstem Gesicht um.
»Und nun, Kind des Lichtes«, sagte Cyradis, »ist die Zeit für Euch gekommen, Eure Wahl zu verkünden. Welchem Eurer Gefährten erlegt Ihr die Bürde auf?«
Garion hatte wenig Sinn für Melodramatik. Ce'Nedra und sogar Tante Pol, waren durchaus imstande, einer gegebenen Situation ein Höchstmaß an Theatralik zu entringen, während er als praktisch veranlagter Sendarer zu Nüchternheit und Zurückhaltung neigte. Er war jedoch sicher, daß Zandramas irgendwie wußte, auf wen seine Wahl fiel. Ebenso wußte er, daß sie trotz ihres zögernden Einverständnisses, die Wahl der Seherin von Kell zu überlassen, noch irgend etwas ausbrütete. Er mußte etwas tun, um sie im entschei-denden Moment aus der Fassung zu bringen. Wenn es aussah, als wäre er unsicher und drauf und dran, die falsche Wahl zu treffen, würde die Zauberin innerlich frohlocken und sich siegessicher fühlen. Dann, im allerletzten Augenblick, konnte er die richtige Wahl kundtun. Sie würde bestürzt sein, vielleicht lange genug gelähmt, daß er sie aufzuhalten vermochte. Er prägte sich ihre Position ein, auch die von Geran und Otrath. Geran stand etwa zehn Fuß vor dem Altar, und Zandramas nur wenige Fuß von ihm entfernt.
Otrath drückte sich verängstigt an den rauhen Stein der hinteren Grottenwand.
Es mußte genau richtig sein. Er würde Zandramas in eine fast unerträgliche Spannung versetzen und dann ihre Hoffnungen mit einem Schlag zerschmettern müssen. Mit geschickt gespielter quälender Unentschlossenheit begann er zwischen seinen Freunden her-umzustapfen. Dann und wann blieb er stehen, blickte ernst in das Gesicht des einen oder anderen, ging sogar soweit, die Hand halb zu heben, als wäre er dabei, die verkehrte Person zu wählen. Jedesmal wenn er das tat, spürte er deutlich eine wilde Schadenfreude von Zandramas ausgehen. Sie versuchte gar nicht, ihre Gefühle zu verbergen. Es konnte nicht besser laufen. Seine Gegnerin hatte bereits aufgehört, eiskalt zu überlegen.
»Was hast du vor?« wisperte Polgara, als er vor ihr stehenblieb.
»Ich erkläre es dir später«, flüsterte er zurück. »Es ist notwendig –
und wichtig. Du mußt mir vertrauen, Tante Pol.« Er schritt weiter.
Als er Belgarath erreichte, strahlte Zandramas flüchtig Angst aus.
Der Ewige war ohne Zweifel ein ernstzunehmender Gegner, wenn auch noch die Kräfte des Kindes des Lichtes auf ihn übergingen durch die Möglichkeit, daß er ein Gott wurde, mochte der Alte sich als ernste Gefahr für sie erweisen.
»Würdest du endlich weitermachen, Garion!« murmelte sein
Großvater.
»Ich versuche, Zandramas aus der Fassung zu bringen«, flüsterte Garion. »Bitte, laß kein Auge von ihr, wenn ich meine Wahl verkündet habe. Sie könnte etwas im Schild führen!«
»Dann hast du dich also schon entschieden?«
»Natürlich. Ich möchte jedoch verhindern, daß sie es in meinen Gedanken lesen kann.«
Der alte Mann verzog das Gesicht. »Tu, was du für richtig hältst.
Aber zieh es nicht zu lange hin. Sonst bringst du nicht nur Zandramas, sondern auch Cyradis aus der Fassung.«
Garion nickte. Er schritt an Sadi und Sammet vorbei und tastete mit seinem Geist nach Zandramas. Ihre Gefühle überschlugen sich jetzt, und es war deutlich, daß ihre Spannung kaum noch zu ertragen war. Es noch länger hinzuziehen wäre unnötig. So hielt er schließlich vor Silk und Eriond an. »Du darfst jetzt keine Miene verziehen«, mahnte er den rattengesichtigen kleinen Mann. »Zandramas darf nur dein unbewegtes Gesicht sehen, ganz egal, was ich zu tun scheine.«
»Mach bloß keinen Fehler, Garion«, warnte Silk. »Ich bin auf keine plötzliche Beförderung irgendwelcher Art aus!«
Garion nickte. Es würde gleich vorbei sein. Er blickte Eriond an, den Jüngling, der fast sein Bruder war. »Es tut mir leid, Eriond«, entschuldigte er sich leise. »Du wirst dich bestimmt nicht freuen über das, was ich gleich tun werde.«
»Sei unbesorgt, Belgarion.« Eriond lächelte. »Ich weiß schon längere Zeit, daß es geschehen wird. Ich bin bereit.«
Und das besiegelte es. Eriond hatte die immer gleiche Frage: »Bist du bereit?« zum wahrscheinlich letzten Mal beantwortet. Eriond
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