Sehnsucht der Dunkelheit (German Edition)
zurück, oder?«, flüsterte Ruby, während Carrow sie in den Armen hielt und auf der unteren Koje hin- und herwiegte. Sie war vor ein paar Stunden aufgewacht und augenblicklich in Tränen ausgebrochen.
»Amanda ist zu Hekate gegangen, meine Süße.«
»Können wir sie zurückholen?«
»Nein. Du weißt, dass das verboten ist.« Manchmal vergaß Carrow, wie groß die magischen Kräfte waren, die in Rubys zitternder kleiner Gestalt steckten. Sie waren sogar einmal größer als Mariketas gewesen, bis Mari dann vor Kurzem ihre ganze Macht erlangt hatte.
Offensichtlich hatte Ruby zwanzig Mann gefoltert und getötet, als sie zuletzt einen Zauber gewirkt hatte.
»Du darfst morgen nicht gehen, Crow.«
Carrow hatte ihr erklärt, dass sie aufbrechen musste, um einen Dämon zu jagen. Im Austausch dafür würden diese Sterblichen sie und Ruby freilassen.
»Ich will ja gar nicht gehen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Weißt du was? Im Grunde genommen ist das ein Auftrag wie jeder andere auch: Ich ziehe los und zaubere ein bisschen, und dafür bekomme ich dann eine Gegenleistung.« Ein solches Arrangement würde das Mädchen verstehen. Die Hexen waren Söldnerinnen, die man von klein auf lehrte, ihre Magie zu verkaufen. »Und die Zauberin wird sich inzwischen gut um dich kümmern.«
Lanthe, die auf dem oberen Bett lag, stieß einen lauten Seufzer aus, als ob sie von dieser Aussicht alles andere als begeistert wäre.
Sie hatte mit einem kurzen »Oh! Na, von mir aus« zugestimmt, als Carrow sie gebeten hatte, auf Ruby aufzupassen. Carrow vermutete, dass Lanthe Kinder in Wahrheit durchaus mochte, diese Tatsache aber lieber geheim hielt, um ihren Nimbus als böse Zauberin nicht zu verlieren.
Immerhin war sie die berühmt-berüchtigte Königin der Überzeugungskünste, eine Zauberin, die andere dazu bringen konnte, zu tun, was auch immer sie wollte. Die Bezeichnung »Königin« besagte, dass sie die Beste in der gesamten Mythenwelt war, was dieses spezielle Talent betraf.
Obwohl Sorceri und Hexen gemeinsame Vorfahren hatten, gehörten viele Mitglieder der Sorceri dem Pravus an, einer Allianz böser Faktionen, der sich im Krieg mit der Vertas befand, der Allianz der verhältnismäßig guten Mythianern, zu der Carrow sich zählte.
Ehe sie sich, wenn auch eher locker, der Vertas angeschlossen hatten, hatten Lanthe und ihre Schwester an vorderster Front des Pravus gekämpft.
Dennoch vertraute Carrow Lanthe bis zu einem gewissen Grad. Für gewöhnlich besaß sie ein ausgezeichnetes Gespür für andere Personen, und die Woche, die sie und Lanthe zusammen in dieser Zelle eingesperrt verbracht hatte, fühlte sich wie ein ganzes Leben an.
Sie hatten im Kondenswasser an den Stahlwänden Tic Tac Toe gespielt, hatten sich stundenlang über die Attraktivität von König Rydstrom ausgelassen – Lanthes neuen dämonischen Schwager – und sich über die Männerflaute beklagt, die sie beide zurzeit durchmachten.
Carrow hatte durchaus Liebhaber gehabt – mehr als zwei, weniger als eine Handvoll – , und eine einzige Nacht auf der Bourbon Street würde ihr einen weiteren verschaffen. Aber sie hatte Gründe für ihre gegenwärtige Abstinenz …
»Was passiert denn, wenn du uns beide befreit hast?«, fragte Ruby.
Wie viel Vertrauen das Mädchen in sie setzte. »Ich werde mich selbst um dich kümmern. Du wirst bei mir leben.« Mentale To-do-Liste, Aufgabe Nummer achtzig: neue Wohnung suchen.
Hexen mit Kindern wohnten nicht in Andoain. Carrow hatte bei dem Gedanken, ihr freizügiges Leben dort – und ihre heiß geliebte Suite mit eigenem Bad – aufgeben zu müssen, kurz ein Bedauern gespürt, aber als sie in Rubys tränenüberströmtes kleines Gesicht gesehen hatte, war sie leichten Herzens zu der Einsicht gelangt, dass das eigentlich gar keine Rolle spielte.
»Wir suchen uns ein gemütliches Nest in der Nähe von Andoain, damit du weiterhin dort zur Hexenschule gehen kannst. Und ich werde dir jeden Morgen ein Pausenbrot einpacken.« Pizzareste vom Vortag.
Von oben war ein ungläubiges Schnauben zu hören.
»Das werde ich. Und wenn du alt genug bist, werde ich dir alles über die Bourbon Street beibringen.«
Ruby gähnte, ihre geschwollenen Lider senkten sich schwer über ihre Augen. »Vor ein paar Wochen habe ich gehört, wie ein paar Hexen über dich geredet haben. Sie haben gesagt, du wärst stillos.«
Jetzt kam ein Kichern vom oberen Bett.
» Z iellos?« Wie wahr. »Kann schon sein, aber das wird sich ab sofort ändern.«
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