Sehnsucht der Dunkelheit (German Edition)
aber auf einer Höllenebene durch die Berge zu latschen, das liegt mir nicht so.« Carrow hasste die freie Natur – Palmenstrände ausgenommen.
»Wir hatten uns schon gedacht, dass du so reagieren könntest«, sagte Chase. Waren seine Pupillen geweitet? »Ich verfüge über etwas, das dir dabei helfen wird, die Dinge in der richtigen Perspektive zu betrachten.« Er ging zur Gegensprechanlage an der Wand und drückte einen Knopf.
Wieder öffnete sich diese verborgene Tür, und Fegley kam hereinspaziert. Aber er war nicht allein, sondern ein Mädchen lag bewusstlos und schlaff in seinen Armen. Ihr Gesicht war von einer Mähne langer schwarzer Haare verdeckt. Sie trug ein dunkles T-Shirt und Leggins, dazu ein aufgebauschtes Ballettröckchen und winzige Kampfstiefel.
Carrow überkam eine böse Vorahnung. Lasst es nicht Ruby sein. Sie warf Chase einen wütenden Blick zu. »Seit wann nehmt ihr jetzt schon Kinder gefangen?« Wie viele kleine Mädchen ziehen sich wohl so an?
Fegley grinste sie frech an. »Wenn eines von ihnen zwanzig Soldaten foltert und ermordet?« Dann warf er das Kind Carrow zu.
Sie machte einen Satz nach vorn, um es aufzufangen, und warf dem Mann noch einen bitterbösen Blick zu, ehe sie das Mädchen betrachtete. Bitte sei jemand anders.
Zischend sog Carrow die Luft ein. Ruby. Ein sieben Jahre altes Kind aus ihrem eigenen Koven, das mit ihr blutsverwandt war.
» Wo ist ihre Mutter? « Amanda, eine Hexe, die der Kriegerinnenkaste angehörte, hätte sich unter keinen Umständen von ihrem kleinen Mädchen trennen lassen. »Antworte mir, du Wurm!«
»Sie hat den Kopf verloren«, erwiderte Fegley höhnisch.
Amanda war tot? »Ich hatte sowieso vor, dich zu erledigen, Fegley«, brachte Carrow mit erstickter Stimme heraus. »Aber jetzt werde ich dafür sorgen, dass du ganz langsam krepierst.«
Fegley zuckte lediglich mit den Schultern und schlenderte wieder hinaus, sodass Carrow stumm vor Wut die Zähne zusammenbiss. Normalerweise könnte sie ihm mit einer einzigen Berührung einen tödlichen Stromschlag versetzen, und wenn ihr danach wäre, könnte sie ihn anschließend noch in ein Häufchen Staub verwandeln.
Sie kämpfte mit aller Kraft darum, ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, und wandte sich dem Kind zu, streichelte sein Gesicht. »Ruby, wach auf!«
Nichts.
»Sie steht nur unter Beruhigungsmitteln«, sagte Dixon.
Carrow zog das Mädchen noch enger an sich heran. Ihre Atemzüge und Herzschläge klangen regelmäßig. »Ruby, Süße, mach die Augen auf.« Dass sie sich ausgerechnet diese kleine Hexe geschnappt hatten …
Innerhalb des Kovens gab es sogenannte Tanda, Gruppen von Gleichaltrigen. Ruby gehörte zu der Gruppe der Babyhexen beziehungsweise zu einer »Gang«, wie sie sich selbst nannten. Ihre Gang war zwar eher mit den Kleinen Strolchen zu vergleichen als mit den Crisps oder Bloods, aber es war sehr niedlich.
Carrow und Mariketa nahmen sie oft mit in Süßigkeitenläden und stopften sie mit Zucker voll, ehe sie sie auf den Koven losließen. Sie stellten die Kleinen auf der Türschwelle ab, klingelten und rannten weg, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre, während sie vor Lachen Seitenstiche bekamen.
Carrow und Mariketa, oder auch Crow und Kettle – Krähe und Kessel – , so lauteten ihre Spitznahmen, waren die Lieblingstanten der Gang. Insgeheim war Ruby Carrows Liebling. Wie hätte es auch anders sein können? Ruby war furchtlos und schlau, ein wunderbares kleines Mädchen, das sich gerne als Punkballerina verkleidete.
Dixon legte die Stirn in Falten. »Sie könnte deine Tochter sein.«
Wie viele Hexen innerhalb eines Kovens waren auch Carrow und Ruby verwandt, wenn auch enger als gewöhnlich. Das Mädchen war ihre Cousine zweiten Grades und gehörte genau denselben drei Kasten an wie Carrow, wobei ihre Stärken als Kriegerin am besten zur Geltung kamen. Genau wie bei mir.
Rubys grüne Augen öffneten sich blinzelnd. »Crow?«
»Ich bin ja hier, mein Schatz.« Als Rubys Augen sich mit Tränen füllten, spürte Carrow einen Stich im Herzen. »Ich bin bei dir.«
Rubys Körper versteifte sich. »Mommy hat mir gesagt, ich soll sie nicht … nicht umbringen«, rief sie mit wildem Blick, »aber … aber als sie ihr wehgetan haben … ist es einfach … passiert.« Ihre Atmung wurde schnell und flach.
»Schhhh. Jetzt bist du in Sicherheit. Schön weiteratmen.« Wenn sich Ruby übermäßig aufregte, begann sie immer zu hyperventilieren. Manchmal fiel sie auch in
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