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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ich werde mir bei Gabriel Rat holen.« Er trat in die Kammer und an das Bett. Da wäre er fast zurückgefahren, denn ein kleines, schmalhüftiges Bürschchen mit kindlichen Gliedern lag darin. Die Flügel hatte es abgestreift; sie lagen zerknittert am Boden.
    »O weh!« dachte Boggi, »nun hat er seine Fasson wieder geändert – gebe Gott, daß er noch zu brauchen ist!« Eine Anwandlung von Zärtlichkeit kam über ihn, als er den schlummernden Knaben betrachtete. »Er hat mir wacker geholfen, der Kleine; er verdient meine Dankbarkeit! . . . Ich will ihn hübsch väterlich behandeln!« – Er weckte den Schlummernden. Gabriel maulte ein wenig; dann entschloß er sich, aufzustehen.
    Eine köstliche Mondnacht herrschte. Der Mond war dreifach so groß, als Boggi ihn je erblickt; er stieg, von dem zarten Rundregenbogen eines Hofes umgeben, wie eine große Seifenblase über den Wäldern auf. Der kleine Knabe strampelte, ohne ein Wort zu sprechen, neben Boggi her; ab und zu lachte er ihn an, mit leisem, glucksendem Lachen, das wie verhaltene Vorfreude klang. Und es wurde heller und heller; die große, veilchenfarbene Schattenphalanx der Berge drohte mit ihren Spitzen vergebens über die Alpe herein. Etwas wie Neuschnee, kühl und fröstelnd, lag in der Luft, und leichte Blitze säumten die Gipfel, wie der verlöschende Regen eines silbernen Feuerwerks. Unten auf der Wiese, zu ihren Füßen, lag noch der warme Duft wie ein feuchter Teppich und beschützender Schleier. Je mehr sie sich in unbekannter Richtung entfernten, desto kühler wurde es. Doch Boggi spürte kein sonderliches Frösteln; eine nie gekannte innere Wärme erfüllte ihn. Auch der Knabe war vergnügt. Da zeigte auf einmal der kleine Finger nach vorn, und der Mund, zuvor spröd geschlossen, sagte mit kindlicher Stimme:
    »Da! – – Der macht den Anfang!«
    Boggi spähte und nahm eine Gestalt wahr, die wie eine Mücke, vom Monde angezogen, stieg und sank. Der Mond hing, rund und glotzend, eine kalkweiße, von blauen Schatten berieselte Welt, im Raume . . . Die Gestalt nahm an Deutlichkeit zu. Mit verrückten Gebärden, wie ein Hemd im Winde, flatterte dort ein Pierrot und warf seine Arme und Beine nach dem Takt eines unhörbaren Walzers auseinander, als wüßte er sich vor jauchzender Freude kaum zu fassen. Doch lautlos, lautlos . . . Bisweilen schob sich ein weißes, lächelndes Gesicht, behutsame Augen unter tanzenden Brauen, aus der schwarzen Krause der seidenen Kutte, und eine Kette von Pompons, riesige violette Chrysanthemen, raschelte bis auf die kurzen Schuhe nieder . . . Und im magnetischen Strom des Mondes, im silbernen Lichtkegel, geschah noch mehr; allerhand kurze Rauschverzückungen, von holden Gespenstern der Lebensfreude getanzt: ein wimmelndes, lautloses Gewühl von Masken war's . . . Boggi vernahm ein Geräusch von zarten, wirbelnden Akkorden; ein Geigenstöhnen wie von Samt erstickt, schelmische Skalen gleich zerprickelndem Schaumwein . . . Und horch, fern ein geheimnisvoller Lerchentriller und bittende Worte Colombines: ›Au clair de la Lune . . .‹ . . . Dann traten sie aus dem Lichtkegel, und alles war verloschen, verklungen, vorbei.
    »Na,« dachte Boggi, »wenn alle Illusionen, die ich noch zu sehen bekomme, in diesem Grade verständlich sind, so könnte mich schier ein Heimweh nach meiner früheren Station packen. – Sehen wir weiter zu. Ah, da ist ja schon das Tor! – Bei Gott, was für ein schwarzer Kolkrabe behütet denn dieses Paradies?!«
    Ein hohes, durchsichtiges Gitter, zum Schutz durch eine Hecke verdoppelt, trat rechts und links vor ihnen auseinander. Sie kamen in eine Art Einfahrt; und der schwarze Kolkrabe hüpfte vor sie hin und sagte mit weicher, krächzender Stimme:
    »Ich bitte um Ihren Paß!«
    Eigentlich war es gar kein Rabe, sondern ein weißhaariger, schwarzgekleideter kleiner Professor, durch dessen goldene Brille (»o liebe Textkritik!« – dachte Boggi) zwei muntere, fast schelmische Augen blitzten.
    »Ja,« sagte Boggi, »einen Paß habe ich nicht, aber einen Begleiter, der mich wohl empfiehlt.« Und er hielt den Knaben in die Höhe. Die Brille fuhr kurz an ihm herab und herauf und konstatierte: »Das genügt. Diesen Homunkulus kennen wir. Kommen Sie.« – Der Professor trat voran; er zog wie ein Täuberich bei jedem Schritte den Kopf etwas zwischen die Schultern. Da aber nahm Gabriel plötzlich sein Händchen aus der Hand Boggis, rief klingend und lieblich: »Leb' wohl!« und

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