Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
ein Windhund wie du hat mir noch lange nichts zu sagen!« – Und er attackierte von neuem das Trio.
    »Er ist ganz außer Rand und Band«, flüsterte Gabriel Boggi zu. »Das kommt davon, wenn man anderen Leuten Gefälligkeiten erweist: da fängt dann so ein zweifelhafter Kerl wieder mit dem Denken an und geht den Illusionen zu Leibe. – Da bleibt nichts übrig; ich muß ihm deutsch meine Meinung sagen.« – Mit graziösem Schritt eilte er hinter dem Dichter her und sprang ihm auf die Schultern, wobei er ihm den Hals mit den Beinen zusammendrückte und ihm die Krücke entriß. Heine wurde zahm. Sein Kopf sank mit einem schmerzlich erschöpften Ausdruck nach vorn, und er trottete, von der Krücke sanft gelenkt, wie ein gehorsames Pferdchen mit seinem Reiter hinter den Zaun zurück.
    »Und ihr«, rief Gabriel noch den Weiblein zu, »macht mir gleichfalls keine Exkursionen mehr, sondern bleibt, wo ihr hingehört!! Dort seid ihr wenigstens keiner ungalanten Behandlung mehr ausgesetzt!«
Der Garten der Illusionen
    Gabriel sagte: »Hier hat man wieder eine langsamere Zeitrechnung als dort oben, wo du die ganze Menagerie und das Kreislaufsystem unseres Chefs gesehen hast. Ein ganz klein wenig Ehrfurcht hast du jetzt bereits«, sagte er verschmitzt und lächelte ihm unter seinen dunklen Wimpern zu. »Das mehrt sich und häuft sich, guter Herr, und die vielen kleinen Eindrücke schmelzen zusammen zum blendenden Gesamtkristall, in dem die ganze Materie steckt. – Du darfst jetzt bei mir übernachten; ich hoffe, daß meine Gegenwart dir noch ein wenig animalische Empfänglichkeit beibringt.« Er klappte die Flügel zusammen und warf sich aufs Bett, das einen Geruch von Humus ausströmte. Boggi streckte sich neben ihm aus. Da geschah ein Wunder: die Decke, die über beiden lag, begann in dem Glanz der Abendsonne, die durch den simplen weißen Vorhang des Fensters drang, wie ein lebendes Bilderbuch Farben um Farben zu entfalten. Boggi setzte sich auf und staunte. Er sah das ganze tiefe Schauwunder der Schöpfung, verkleinert gleichsam, üppig aufblühen; ja, er vermeinte Stimmen zu hören, fein und zart. Adam und Eva hatten sich erhascht und umfangen; Pfauhähne prunkten im Strahlengefieder um die Wette mit rotfüßigen Fasanen, die ihre Hennen sporenzuckend umkreisten; Kater und Katze flogen als wirbelnde Silhouetten vorbei; Affen rollten, unlieb schreiend, von Ästen oder schaukelnden Lianen; ja selbst ein dickes Flußpferd, asthmatisch schnaufend, wagte einen Galopp, alles niedertrampelnd, einer schelmischen Flußstute nach, die kleine Wassersäulen aus den Naslöchern spie. – – Und siehe da! – Ein kleiner Akkord geschah, ein holder, kurzzirpender Dreiklang, und alles erstarrte. Ein blaugewandeter, graubärtiger Mann ging langsam durch die Wildnis, und alles öffnete sich vor ihm, bis er im grünen Saum an der anderen Seite der Decke verschwunden war. Dann erlosch der Abendschein, um einer hellen Dämmerung Platz zu machen.
    »Was war das?« fragte Boggi fassungslos. »Hast du jeden Abend diese reizende Unterhaltung? Und wer war der kleine Graubart im blauen Mantel?«
    »Das war nichts Besonderes«, sagte Gabriel, der, phlegmatisch blinzelnd, die Arme unter dem Kopf, zugesehen hatte. »Das war nur eine kleine projizierte Phantasie von mir. Der kleine Graubart ist der Beschließer, der Aufsichtsrat über all diese rührige Zeugung; ich hab' ihn mir ausgedacht; er läuft noch einmal als letzter Effekt um die Peripherie, eh das Spielwerk aussetzt.« – Er strampelte die Decke auf den Boden. »Hör',« fuhr er fort, »ich habe dir noch etwas zu sagen. – In meinen letzten Gesprächen habe ich fast den Rest meines Geistes erschöpft; von morgen ab ist mein Denken ganz kindlich; ich werde acht Jahre alt, und mein Schlußvermögen macht so kleine Sprünge, daß du nicht mehr tiefsinnig reden darfst, wenn ich dich verstehen soll. – Darum will ich das bißchen Geist, was ich jetzt noch habe, dazu verwenden, deine nächsten Geschäfte zu regeln. Du hast dich also dem Bürgermeister vorzustellen und dich begutachten zu lassen; die Leute machen gerade ihre Zwielichtpromenade. Alsdann weckst du mich, und ich will dich zum Garten der Illusionen führen. – So, und jetzt will ich schlafen.« Mit dem letzten Wort, das schon von einem ächzenden, drolligen Gähnen erstickt ward, war er rosig entschlummert. – Boggi sprang auf und ging hinaus.
    Eine schattenlose Dämmerung erfüllte die Straße, die von schweigenden Gestalten,

Weitere Kostenlose Bücher