Seidendrachen
ungewöhnlich bequemen Bett, obwohl er im Dienertrakt des Palastes untergebracht worden war. Es hatte ihm irgendwie leidgetan, dass der Pater den weiten Weg ohne seine Begleitung zurückreiten musste. Andererseits war er über den Befehl des Königs froh gewesen. Ein klein wenig war er sogar stolz auf sich. Dass er Akio auf so unvermutete Weise aus dem Kloster herausholen konnte. Dabei war Stolz doch eine Todsünde! Jarin fühlte sich ganz und gar nicht als Sünder, eher erleichtert. Er spürte, dass sein Leben nun eine Wende genommen hatte, und freute sich auf die Zukunft. Man hatte ihm einen strengen Lehrplan mitgegeben.
In den nächsten Wochen würde er sich unter der militärischen Aufsicht des Hauptmanns Nicolas de Vervier an allen möglichen Waffen üben müssen. Auch seine Reitkünste sollten verbessert werden, denn Kämpfe zu Pferd waren in diesen Zeiten unabdingbar. Ein starkes Tier und eine schwere Waffe im Kampf gleichzeitig zu beherrschen war eine Kunst, die man erst mühsam erlernen musste. Allein aus diesem Grunde wurden in Friedenszeiten an großen Festtagen Turniere ausgerufen, in denen sich die kühnsten Ritter des Landes messen durften. Ostern war einer dieser Festtage, an denen wieder ein Turnier stattfinden sollte. In wenigen Wochen war es soweit! Ein Termin, der Jarins Ehrgeiz anstachelte. Zu gern wäre er dabei gewesen, doch der Capitaine hatte ihm schon gesagt, dass er selbst nicht kämpfen dürfte. Er konnte höchstens einer der Waffenträger sein. Mehr nicht. Doch das genügte ihm für den Anfang.
Da er zur gleichen Zeit seinen achtzehnten Geburtstag feiern würde, war das sogar ein besonderes Geschenk. Er war noch jung und durch große Taten konnte man sich einen Rang und einen Titel erwerben. Genau das hatte Jarin vor. Wäre da nicht Akio in seinen Gedanken gewesen. Der Fremde passte so ganz und gar nicht in seine Pläne!
In den ersten Wochen seines Lehrgangs spürte Jarin jeden einzelnen seiner Muskeln. Sein Körper war übersät mit blauen Flecken und Kratzern. Doch Nicolas schonte seinen Schüler nicht. Er ließ ihn mit alten Waffen wie Streitäxten und Beidhandschwertern ebenso trainieren wie mit den neuen, leichteren orientalischen Säbeln, die Kriegsbeute aus den Kreuzzügen.
Was für eine Schinderei! dachte Jarin dabei oft.
De Vervier war kein Unmensch. Er sah nicht nur sehr gut aus in seiner Uniform, sondern strahlte eine natürliche Autorität aus. Dunkle, halblange Haare und durchdringende grüngraue Augen unter geschwungenen Brauen, die einen stets abschätzenden Blick inne hatten . Ein bartloses Gesicht mit einem energischen Kinn und einem kleinen Grübchen darin verstärkten den Eindruck eines Befehlshabers. Eine elegante, aufrechte Erscheinung, welche die Palastwache des Königs kommandierte.
Er wusste, dass sich sein Schüler redlich Mühe gab, und lehrte ihn außer dem Gebrauch der Waffen ebenso die Versorgung von Wunden aller Art, auch wie man sich die Kräfte der Natur zunutze machte. Welche Pflanzen den Blutfluss stillten und Schmerzen betäuben konnten. Das war wichtig für einen angehenden Soldaten. Nicolas selbst hatte all dies von seiner Mutter, einer kräuterkundigen Frau, gelernt. Sein Vater Gérard de Vervier tat dies indes als Hexenwerk ab. Seine Mutter Thérese war eine Frau ohne Standesdünkel gewesen. Sie hatte immer nur den Menschen gesehen, niemals seine Herkunft. Überhaupt: Sie war viel zu gut für diese Welt gewesen! Nicolas war noch ein Knabe im Alter von zwölf Jahren, als sein Vater die Mutter verstieß, weil sie einer ihrer Dienerinnen bei der Geburt geholfen hatte. So etwas schickte sich nicht einmal für den niederen Adel! Dafür hatte Nicolas seinen Vater immer gehasst. Dieser schickte ihn kurzerhand zum Militär. Das war die einzige Sprache, die er verstand – der Kampf. Und der Junge musste sich fügen. Bis heute hatte er seinen Vater niemals wieder gesehen.
Nun gab der heute Vierundzwanzigjährige all sein Wissen weiter an den ehemaligen Klosterschüler. An schönen Tagen übten sie in dem weitläufigen Gelände um den Palast herum, bei regnerischen Tagen in der Halle, die eigentlich nur den Offizieren für ihre Kampfesübungen vorbehalten war. Jarin konnte sich nicht vorstellen, dass er all das einmal würde brauchen können. Was sollte schon geschehen, wenn er als Leibwache für einen Künstler eingesetzt würde? Der Jüngling konnte ja nicht ahnen, dass gegen Ränkespiele und Intrigen auch das schärfste Schwert nutzlos sein
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