Seidendrachen
her gekommen waren, um dem Herrscher von Frankreich ein recht ungewöhnliches Angebot zu machen. Simon und Jarin verneigten sich ehrerbietig. Sie wurden aufgefordert, sich zu erheben und ihr Anliegen vorzutragen. Der Pater tat wie ihm geheißen und breitete auch das kostbare Gewand vor den König aus.
„Natürlich könnt Ihr derlei Gewänder auch aus dem fernen Orient importieren, Sire. Doch bedenkt, wie gefahrvoll der Weg der Karawanen ist und auf dem Seeweg lauern Piraten. Als Kenner wisst Ihr sicher, dass die hier gefertigten Gewebe mit dieser Zartheit nicht mithalten können“, verhandelte Simon mit der Sicherheit eines Advokaten.
„Wozu also ein solches Risiko eingehen? Wir beherbergen einen der begabtesten Seidenmaler Chinas in unseren Mauern. Diese sogenannten Kimonos werden in China von Mann und Frau hoch geschätzt und es war mir nur möglich, den Jungen mitzunehmen gegen ein hohes Lösegeld. Natürlich sah ich es auch als meine Christenpflicht, da er offenbar zur Hälfte europäischer Herkunft ist.“
Dass die Chinesen Akio aufgrund seiner Abstammung als minderwertig betrachteten, verschwieg der Pater wohlweislich. In diesem streng regierten Land hätte er weder Status noch Besitz erlangen können.
Er schachert mit Akio wie auf einem Pferdemarkt, fuhr es Jarin durch den Kopf. Erst rettet er ihn aus der Sklaverei, dann verkauft er ihn weiter an den König. Was hat das mit Christentum zu tun?
Der blonde Jüngling schwieg, doch in seinem Innersten brodelte es ob der Heuchelei um ihn herum. Langsam begriff er, dass auch ein Kloster, ja die ganze Kirche, nur eine andere Art von Wirtschaftsmacht darstellte. Ein Gedanke, der ihm ganz und gar nicht behagte. Der König schwieg ebenfalls und schien zu überlegen. Sein schmaler Kopf wurde von einer langen Perücke mit künstlichen Locken geschmückt und wirkte dadurch unnatürlich klein. Auch der Minister trug eine weiße Perücke, jedoch ein wesentlich unauffälligeres Modell.
Beide Männer strichen ehrfürchtig mit den Händen über den fließenden Seidenstoff.
„Es dauert mehrere Wochen, ein paar Meter dieses seltenen Stoffes von Hand zu bemalen. Es sind alles Unikate und von unschätzbarem Wert. Die Königin wird ein Kleid aus chinesischer Seide bestimmt zu schätzen wissen. Stellt Euch dieses zarte Gewebe auf der Haut einer Frau vor.“
So machte der Pater dem Monarchen die Offerte schmackhaft. Oder spielte er gar bewusst auf die vielen Mätressen des Herrschers an? Jedenfalls schien diesem eine solche Vorstellung zu gefallen.
„Was verlangt Ihr?“, fragte König Louis nun.
„Die Unabhängigkeit des Klosters von den jährlichen Tributen und die Übernahme der Beschaffungskosten für die Rohseide. Diese beinhalten auch einige Bestechungsgelder.“ Pater Simons Stimme zitterte leicht. Immerhin war dies ein schon fast anmaßend hoher Preis.
„Nun… könnt Ihr uns wirklich eine kontinuierliche Lieferung von bemalten Stoffen garantieren?“
Der Pater verneigte sich als Zeichen seiner Zustimmung.
Heuchler!
„Dann solltet Ihr fortan gut auf Euren jungen Maler achtgeben!“, mahnte der König und nickte seinem Minister zu. Dieser holte aus dem Schreibtisch einen vollen Beutel mit Goldmünzen und reichte sie dem Mönch, der sich wiederum verneigte.
„Euer Majestät sind zu gütig“, sagte er demütig, aber zufrieden.
„Was ist mit diesem jungen Mann, der Euch begleitet? Ist auch er eines Kunsthandwerkes fähig?“
Simon musste schmunzeln. „Oh nein, Sire! Unser Jarin ist ein Recke. Ein starker Arm, der eines Eurer Schwerter bestimmt gerne führen würde. Außerdem kann er lesen und schreiben und wurde im christlichen Glauben erzogen.“
Der König schritt jetzt um Jarin herum, als wolle auch er ihn für einen Kauf begutachten. „Vielleicht wäre er für die Palastwache geeignet?“, schlug er vor.
„Nein!“, rief der Junge jetzt aus. Ein zorniger Unterton klang aus seiner Stimme heraus. Im gleichen Augenblick hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Wie konnte er vor dem König derart aufbegehren? Aber er wollte sich nicht genauso verschachern lassen, wie man es mit Akio gerade tat.
Alle blickten erstaunt und gleichzeitig entsetzt auf den hübschen jungen Mann. Jarin wäre am liebsten im Erdboden versunken. Jetzt, da er seinen Träumen so nahe gekommen war, zögerte er, diese Chance zu ergreifen. Im Geiste sah er Akios schöne grüne Augen vor sich mit diesem letzten traurigen Blick vor ihrer Abreise. Der fremde Junge ließ
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