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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Gewißheit. Sie hofften, wiedergeboren zu werden, mit allen Erfahrungen und Errungenschaften, aber in neuer Schönheit und Freiheit. Die Beschleunigung ihrer geistigen Fortschritte ließ sie daran glauben. Oft schienen ihre Augen ins Leere zu blicken, nach einem in der Luft hängenden Nichts; oder sie schienen zu hören, ohne auf etwas zu lauschen. Ihnen entging nichts, bloß faßten sie es anders auf. Und vieles, was sie taten, blieb für uns unerklärbar.
    Ich mußte Abstand zu ihnen halten, zwangsläufig. Ich fühlte mich ihnen zu nahe. Sie brauchten kein Mitleid. Auch keine Herablassung, keine gekünstelte Fröhlichkeit. Das hätten sie sofort erkannt und zurückgewiesen. Sie brauchten Freude. Wir lachten viel. Und ich kannte sie inzwischen gut und ging auf ihre Reaktionen ein. Bei manchen mußte ich vorsichtig sein.
    Sie waren in mich verliebt. Der Körper lebt sein eigenes Leben.
    Und siehst du, so nach und nach, entstand zwischen uns ein seltsames Einverständnis. Denn diese Menschen, in ihrer schwerfälligen Hülle verborgen, traten aus ihren Verstecken heraus; ihr Geist zeigte sich in ihren Augen. Ich sah ihn auftau-chen, wie eine Wasserpflanze aus tiefen Gewässern, an der Oberfläche schimmern, dann wieder verschwinden. Und wenn es auch nur ein Ergebnis furchtbar konzentrierten Denkens und Wiederholens war, auch wenn sich am Ende kaum etwas tat, wir hatten doch etwas bewirkt. Wir waren zufrieden.
    Aber ich will dir eine ganz bestimmte Geschichte erzählen.
    Es ist eine besondere Geschichte, nicht sosehr, was die äußeren Umstände betraf – sie gehörte zur Therapie –, sondern in der Art, wie sie sich zutrug. Es war am Weihnachtsabend. Wir hatten mit den Behinderten ein Spiel einstudiert. Die Aufführung fand in der Aula statt; ich hatte darauf bestanden, daß alle mitmachten. Wir hatten mit Kissen und Matratzen eine Art Podium aufgebaut. Das Pflegepersonal hatte uns geholfen, die Gelähmten auf bunte Stoffe zu betten. Sie würden – während der halben Stunde der Aufführung – mit ihnen eine Gruppe formen. Es sollte, siehst du, schön sein. Und das war es auch, auf eine ganz merkwürdige Weise. Denn die Kranken waren sich ihrer Rolle bewußt, wollten sie so gut wie möglich spielen, man fühlte es durch ihre Haut hindurch. Die Idee stammte von Alwin, der Sinn für Symbole hatte. Das lebende Bild nannte er
    »Das Herz der Welt«. Wir hatten mit den anderen Patienten, den leichteren Fällen, ein Krippenspiel einstudiert. Alles war denkbar einfach und stereotyp: Die Weisen aus dem Morgenland besuchten das Jesuskind. Hirtinnen und Hirten bildeten einen Reigen um das »Herz der Welt«, wobei sie die Besucher mit einbezogen. Draußen war die Beleuchtung ausgeschaltet, der Weg vom Parkplatz bis zur Aula mit Fackeln gesäumt. In völliger Dunkelheit gingen die Gäste – Angehörige, Freunde, Erzieher, Sozialarbeiter und Vertreter der Kirche – an diesen Fackeln vorbei. Ein Tannenbaum, mit Äpfeln und Kerzen geschmückt, leuchtete in der Mitte der Aula, verzauberte den häßlichen Betonraum in ein
    magisches Reich der Flämmchen und Schatten. Nun wurden die Gäste gebeten, um das »Herz der Welt« einen Kreis zu bilden. Ein Halbwüchsiger las mit heiserer Stimme die Worte der Bibel vor:
    »Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des König Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.«
    Schweigen. Der Junge, rot im Gesicht, verschluckte sich vor Aufregung. Ein paar Atemzüge rührte sich keiner; nur die Kerzen knisterten. Dann brach der Klang einer Flöte die Stille.
    Schwarzgekleidet, lautlos wie ein Schatten, wanderte Pierre barfuß durch den Saal. Er spielte auf der Shakuhachi-Flöte, wie er es in Japan gelernt hatte. Und da war es, als ob die Luft in Bewegung geriet, als ob etwas Unsichtbares von weit her her-angeweht kam. Die Flöte, aus dem Baumherz geschnitzt, sang wie ein jubelnder Vogel. Sie war die Stimme des Windes und der Erde, ein Echo jenseits der Zeiten, eine Botschaft aus dem Paradies. Pierre ging mit langsamen Schritten. Sein geschmeidiger Oberkörper wiegte sich im Takt. Und wie von der Musik angelockt, trat ich ihm aus dem Dunkel entgegen, auch ich barfuß, schwarz verhüllt bis zu den Augen. Keiner sollte sehen, ob ich Frau oder Mann war; ich war ein Schemen, der einen Menschen spielte. Ich wollte eine Empfindung

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